Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Herder, Johann Gottfried von: Briefe zu Beförderung der Humanität. Bd. 1. Riga, 1793.

Bild:
<< vorherige Seite
nächste Seite >>

großer Fürst fiel einmal in die Hände seiner
Feinde; er sahe seine Hofleute um sich her
weinen, verzweifeln: "Ach, sagte er, an
Euren Thränen merke ich, daß ich
noch König bin!" Wenige Worte,
aber voll großen Sinnes!

"Brüssel und fast das ganze Deutsch-
land ist seiner alten Barbarei noch nicht
los; die Künste werden in ihm wenig ge-
achtet, also auch wenig cultiviret. Der
Adel dient unter den Truppen, oder mit
sehr leichten Studien tritt er in Collegia
und spricht das Recht, daß es eine Lust ist.
Edelleute mit Renten leben auf dem Lande,
oder vielmehr in den Wäldern, wo sie denn
auch so wild werden als die Thiere, die sie
jagen. Der Adel unsres Landes gleicht zwar
im Ganzen dem andern Deutschen Adel;

großer Fuͤrſt fiel einmal in die Haͤnde ſeiner
Feinde; er ſahe ſeine Hofleute um ſich her
weinen, verzweifeln: „Ach, ſagte er, an
Euren Thraͤnen merke ich, daß ich
noch Koͤnig bin!“ Wenige Worte,
aber voll großen Sinnes!

„Bruͤſſel und faſt das ganze Deutſch-
land iſt ſeiner alten Barbarei noch nicht
los; die Kuͤnſte werden in ihm wenig ge-
achtet, alſo auch wenig cultiviret. Der
Adel dient unter den Truppen, oder mit
ſehr leichten Studien tritt er in Collegia
und ſpricht das Recht, daß es eine Luſt iſt.
Edelleute mit Renten leben auf dem Lande,
oder vielmehr in den Waͤldern, wo ſie denn
auch ſo wild werden als die Thiere, die ſie
jagen. Der Adel unſres Landes gleicht zwar
im Ganzen dem andern Deutſchen Adel;

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0099" n="92"/>
großer Fu&#x0364;r&#x017F;t fiel einmal in die Ha&#x0364;nde &#x017F;einer<lb/>
Feinde; er &#x017F;ahe &#x017F;eine Hofleute um &#x017F;ich her<lb/>
weinen, verzweifeln: &#x201E;<hi rendition="#g">Ach</hi>, &#x017F;agte er, <hi rendition="#g">an<lb/>
Euren Thra&#x0364;nen merke ich</hi>, <hi rendition="#g">daß ich<lb/>
noch Ko&#x0364;nig bin</hi>!&#x201C; Wenige Worte,<lb/>
aber voll großen Sinnes!</p><lb/>
        <milestone rendition="#hr" unit="section"/>
        <p>&#x201E;Bru&#x0364;&#x017F;&#x017F;el und fa&#x017F;t das ganze Deut&#x017F;ch-<lb/>
land i&#x017F;t &#x017F;einer alten Barbarei noch nicht<lb/>
los; die Ku&#x0364;n&#x017F;te werden in ihm wenig ge-<lb/>
achtet, al&#x017F;o auch wenig cultiviret. Der<lb/>
Adel dient unter den Truppen, oder mit<lb/>
&#x017F;ehr leichten Studien tritt er in Collegia<lb/>
und &#x017F;pricht das Recht, daß es eine Lu&#x017F;t i&#x017F;t.<lb/>
Edelleute mit Renten leben auf dem Lande,<lb/>
oder vielmehr in den Wa&#x0364;ldern, wo &#x017F;ie denn<lb/>
auch &#x017F;o wild werden als die Thiere, die &#x017F;ie<lb/>
jagen. Der Adel un&#x017F;res Landes gleicht zwar<lb/>
im Ganzen dem andern Deut&#x017F;chen Adel;<lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[92/0099] großer Fuͤrſt fiel einmal in die Haͤnde ſeiner Feinde; er ſahe ſeine Hofleute um ſich her weinen, verzweifeln: „Ach, ſagte er, an Euren Thraͤnen merke ich, daß ich noch Koͤnig bin!“ Wenige Worte, aber voll großen Sinnes! „Bruͤſſel und faſt das ganze Deutſch- land iſt ſeiner alten Barbarei noch nicht los; die Kuͤnſte werden in ihm wenig ge- achtet, alſo auch wenig cultiviret. Der Adel dient unter den Truppen, oder mit ſehr leichten Studien tritt er in Collegia und ſpricht das Recht, daß es eine Luſt iſt. Edelleute mit Renten leben auf dem Lande, oder vielmehr in den Waͤldern, wo ſie denn auch ſo wild werden als die Thiere, die ſie jagen. Der Adel unſres Landes gleicht zwar im Ganzen dem andern Deutſchen Adel;

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/herder_humanitaet01_1793
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/herder_humanitaet01_1793/99
Zitationshilfe: Herder, Johann Gottfried von: Briefe zu Beförderung der Humanität. Bd. 1. Riga, 1793, S. 92. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/herder_humanitaet01_1793/99>, abgerufen am 21.11.2024.