Ich. Wenn ichs wie Du könnte! Ich sprach mit deinem Geist, ehe ich deine Person sah; ich kannte dich, ohne von einer ge- heimen Gesellschaft zu seyn, am Wort, am Griff, am Schlage. Deine und an- drer Thaten haben längst und sicherer bei mir bewirkt, was Gebräuche und Zei- chen nur sehr unsicher und langsam bewir- ken könnten; sie haben mich über jedes Vorurtheil von Staatsverfassung, ange- bohrner Religion, Rang und Ständen längst erhoben.
Er. Welche Thaten?
Ich. Poesie, Philosophie und Ge- schichte sind, wie mich dünkt, die drei Lichter, die hierüber Nationen, Sekten und Geschlechter erleuchten; ein heili- ges Dreieck! Poesie erhebt den Men- schen durch eine angenehme, sinnliche Ge-
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Ich. Wenn ichs wie Du koͤnnte! Ich ſprach mit deinem Geiſt, ehe ich deine Perſon ſah; ich kannte dich, ohne von einer ge- heimen Geſellſchaft zu ſeyn, am Wort, am Griff, am Schlage. Deine und an- drer Thaten haben laͤngſt und ſicherer bei mir bewirkt, was Gebraͤuche und Zei- chen nur ſehr unſicher und langſam bewir- ken koͤnnten; ſie haben mich uͤber jedes Vorurtheil von Staatsverfaſſung, ange- bohrner Religion, Rang und Staͤnden laͤngſt erhoben.
Er. Welche Thaten?
Ich. Poeſie, Philoſophie und Ge- ſchichte ſind, wie mich duͤnkt, die drei Lichter, die hieruͤber Nationen, Sekten und Geſchlechter erleuchten; ein heili- ges Dreieck! Poeſie erhebt den Men- ſchen durch eine angenehme, ſinnliche Ge-
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Ich. Wenn ichs wie Du koͤnnte! Ich ſprach
mit deinem Geiſt, ehe ich deine Perſon
ſah; ich kannte dich, ohne von einer ge-
heimen Geſellſchaft zu ſeyn, am Wort,
am Griff, am Schlage. Deine und an-
drer Thaten haben laͤngſt und ſicherer
bei mir bewirkt, was Gebraͤuche und Zei-
chen nur ſehr unſicher und langſam bewir-
ken koͤnnten; ſie haben mich uͤber jedes
Vorurtheil von Staatsverfaſſung, ange-
bohrner Religion, Rang und Staͤnden
laͤngſt erhoben.
Er. Welche Thaten?
Ich. Poeſie, Philoſophie und Ge-
ſchichte ſind, wie mich duͤnkt, die drei
Lichter, die hieruͤber Nationen, Sekten
und Geſchlechter erleuchten; ein heili-
ges Dreieck! Poeſie erhebt den Men-
ſchen durch eine angenehme, ſinnliche Ge-
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Herder, Johann Gottfried von: Briefe zu Beförderung der Humanität. Bd. 2. Riga, 1793, S. 149. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/herder_humanitaet02_1793/154>, abgerufen am 26.06.2024.
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