Herder, Johann Gottfried von: Briefe zu Beförderung der Humanität. Bd. 3. Riga, 1794.Wenn was wir haben, wir nicht brauchen, und Was wir nicht haben, suchen; ach so raubt Das Glück uns Jenes, Dieses wir uns selbst. Gerecht ist nicht, der niemand Unrecht thut; Der ists, der Unrecht thun kann und nicht will. Nicht der, der kleinen Raubes sich enthält; Der ists, der großen Raub mit Muth ver- schmäht, Wenn er ihn haben und behalten kann. Nicht der ists, der dies alles nur befolgt, Der ists, der ungeschminkten, reinen Sinns, Seyn ein Gerechter und nicht scheinen will. So viele Künste es, o Laches gab; Kein Lehrer, alle lehrte sie die Zeit. Nicht Körper nur; es wachsen mit der Zeit Auch Dinge! -- Wenn was wir haben, wir nicht brauchen, und Was wir nicht haben, ſuchen; ach ſo raubt Das Gluͤck uns Jenes, Dieſes wir uns ſelbſt. Gerecht iſt nicht, der niemand Unrecht thut; Der iſts, der Unrecht thun kann und nicht will. Nicht der, der kleinen Raubes ſich enthaͤlt; Der iſts, der großen Raub mit Muth ver- ſchmaͤht, Wenn er ihn haben und behalten kann. Nicht der iſts, der dies alles nur befolgt, Der iſts, der ungeſchminkten, reinen Sinns, Seyn ein Gerechter und nicht ſcheinen will. So viele Kuͤnſte es, o Laches gab; Kein Lehrer, alle lehrte ſie die Zeit. Nicht Koͤrper nur; es wachſen mit der Zeit Auch Dinge! — <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <pb facs="#f0175" n="166"/> <milestone rendition="#hr" unit="section"/> <lg type="poem"> <l>Wenn was wir haben, wir nicht brauchen,</l><lb/> <l>und</l><lb/> <l>Was wir nicht haben, ſuchen; ach ſo raubt</l><lb/> <l>Das Gluͤck uns Jenes, Dieſes wir uns ſelbſt.</l> </lg><lb/> <milestone rendition="#hr" unit="section"/> <lg type="poem"> <l>Gerecht iſt nicht, der niemand Unrecht thut;</l><lb/> <l>Der iſts, der Unrecht thun kann und nicht will.</l><lb/> <l>Nicht der, der kleinen Raubes ſich enthaͤlt;</l><lb/> <l>Der iſts, der großen Raub mit Muth ver-</l><lb/> <l>ſchmaͤht,</l><lb/> <l>Wenn er ihn haben und behalten kann.</l><lb/> <l>Nicht der iſts, der dies alles nur befolgt,</l><lb/> <l>Der iſts, der ungeſchminkten, reinen Sinns,</l><lb/> <l><hi rendition="#g">Seyn</hi> ein Gerechter und nicht ſcheinen will.</l> </lg><lb/> <milestone rendition="#hr" unit="section"/> <lg type="poem"> <l>So viele Kuͤnſte es, o <hi rendition="#g">Laches</hi> gab;</l><lb/> <l>Kein Lehrer, alle lehrte ſie die Zeit.</l><lb/> <l>Nicht Koͤrper nur; es wachſen mit der Zeit</l><lb/> <l>Auch Dinge! —</l> </lg><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [166/0175]
Wenn was wir haben, wir nicht brauchen,
und
Was wir nicht haben, ſuchen; ach ſo raubt
Das Gluͤck uns Jenes, Dieſes wir uns ſelbſt.
Gerecht iſt nicht, der niemand Unrecht thut;
Der iſts, der Unrecht thun kann und nicht will.
Nicht der, der kleinen Raubes ſich enthaͤlt;
Der iſts, der großen Raub mit Muth ver-
ſchmaͤht,
Wenn er ihn haben und behalten kann.
Nicht der iſts, der dies alles nur befolgt,
Der iſts, der ungeſchminkten, reinen Sinns,
Seyn ein Gerechter und nicht ſcheinen will.
So viele Kuͤnſte es, o Laches gab;
Kein Lehrer, alle lehrte ſie die Zeit.
Nicht Koͤrper nur; es wachſen mit der Zeit
Auch Dinge! —
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