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Herder, Johann Gottfried von: Briefe zu Beförderung der Humanität. Bd. 3. Riga, 1794.

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Grundsätze, Sitten, Composition und Le-
bensweise sind nach allem Tadel unwider-
legt geblieben. Ich kann mir nicht vor-
stellen, daß ein unbefangener honetter
Mann diesen Schriftsteller ohne innige Ach-
tung aus der Hand legen sollte; und für
Jünglinge wünschte ich in unsrer Sprache
zum übersetzten Shaftesburi eine Zugabe,
"wie Shaftesburi zu lesen und
was in ihm zu berichtigen seyn
möchte
." Wie Leibnitz, so hielten Di-
derot, Leßing, Mendelssohn, von
diesem Virtuoso der Humanität viel; auf
die besten Köpfe unsres Jahrhunderts, auf
Männer, die sich fürs Wahre, Schöne und
Gute mit entschiedner Redlichkeit bemüh-
ten, hat er auszeichnend gewirket.

Und doch, m. F. dünkt mir sein System
der Moral unzureichend, sofern es sich bloß
auf das decorum et honestum als auf ein

Grundſaͤtze, Sitten, Compoſition und Le-
bensweiſe ſind nach allem Tadel unwider-
legt geblieben. Ich kann mir nicht vor-
ſtellen, daß ein unbefangener honetter
Mann dieſen Schriftſteller ohne innige Ach-
tung aus der Hand legen ſollte; und fuͤr
Juͤnglinge wuͤnſchte ich in unſrer Sprache
zum uͤberſetzten Shaftesburi eine Zugabe,
wie Shaftesburi zu leſen und
was in ihm zu berichtigen ſeyn
moͤchte
.“ Wie Leibnitz, ſo hielten Di-
derot, Leßing, Mendelsſohn, von
dieſem Virtuoſo der Humanitaͤt viel; auf
die beſten Koͤpfe unſres Jahrhunderts, auf
Maͤnner, die ſich fuͤrs Wahre, Schoͤne und
Gute mit entſchiedner Redlichkeit bemuͤh-
ten, hat er auszeichnend gewirket.

Und doch, m. F. duͤnkt mir ſein Syſtem
der Moral unzureichend, ſofern es ſich bloß
auf das decorum et honeſtum als auf ein

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[66/0075] Grundſaͤtze, Sitten, Compoſition und Le- bensweiſe ſind nach allem Tadel unwider- legt geblieben. Ich kann mir nicht vor- ſtellen, daß ein unbefangener honetter Mann dieſen Schriftſteller ohne innige Ach- tung aus der Hand legen ſollte; und fuͤr Juͤnglinge wuͤnſchte ich in unſrer Sprache zum uͤberſetzten Shaftesburi eine Zugabe, „wie Shaftesburi zu leſen und was in ihm zu berichtigen ſeyn moͤchte.“ Wie Leibnitz, ſo hielten Di- derot, Leßing, Mendelsſohn, von dieſem Virtuoſo der Humanitaͤt viel; auf die beſten Koͤpfe unſres Jahrhunderts, auf Maͤnner, die ſich fuͤrs Wahre, Schoͤne und Gute mit entſchiedner Redlichkeit bemuͤh- ten, hat er auszeichnend gewirket. Und doch, m. F. duͤnkt mir ſein Syſtem der Moral unzureichend, ſofern es ſich bloß auf das decorum et honeſtum als auf ein

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Zitationshilfe: Herder, Johann Gottfried von: Briefe zu Beförderung der Humanität. Bd. 3. Riga, 1794, S. 66. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/herder_humanitaet03_1794/75>, abgerufen am 26.11.2024.