Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Herder, Johann Gottfried von: Briefe zu Beförderung der Humanität. Bd. 4. Riga, 1794.

Bild:
<< vorherige Seite

Uebersteigen die Stralen die meinigen. Wäre
zur Blume
Sie des Haines geschaffen, kein Blümchen
glich ihr an Reize,
Keines an himmlischem Glanz noch Duft. Sie
senket ihr Auge
Nieder vom nackten Gipfel der hocherhabenen
Ulme
Auf das verödete Land, und in sich ersterben
die Stralen."

Also sang vom schwankenden Ast weißagend
der Vogel,
Und der Nordwind verstummte; es nahten sich
lindernde Weste.
Aber es schwebt' in der Höh' mit ausgesprei-
teten Rudern,
Und mit gierigem Aug' ein Geyer, dürstend
nach Blute.
Dieser ersah den lieblichen Sänger, und stürzt
von der Höhe,
I 4

Ueberſteigen die Stralen die meinigen. Waͤre
zur Blume
Sie des Haines geſchaffen, kein Bluͤmchen
glich ihr an Reize,
Keines an himmliſchem Glanz noch Duft. Sie
ſenket ihr Auge
Nieder vom nackten Gipfel der hocherhabenen
Ulme
Auf das veroͤdete Land, und in ſich erſterben
die Stralen.“

Alſo ſang vom ſchwankenden Aſt weißagend
der Vogel,
Und der Nordwind verſtummte; es nahten ſich
lindernde Weſte.
Aber es ſchwebt' in der Hoͤh' mit ausgeſprei-
teten Rudern,
Und mit gierigem Aug' ein Geyer, duͤrſtend
nach Blute.
Dieſer erſah den lieblichen Saͤnger, und ſtuͤrzt
von der Hoͤhe,
I 4
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <lg type="poem">
            <lg n="5">
              <pb facs="#f0140" n="135"/>
              <l>Ueber&#x017F;teigen die Stralen die meinigen. Wa&#x0364;re</l><lb/>
              <l>zur Blume</l><lb/>
              <l>Sie des Haines ge&#x017F;chaffen, kein Blu&#x0364;mchen</l><lb/>
              <l>glich ihr an Reize,</l><lb/>
              <l>Keines an himmli&#x017F;chem Glanz noch Duft. Sie</l><lb/>
              <l>&#x017F;enket ihr Auge</l><lb/>
              <l>Nieder vom nackten Gipfel der hocherhabenen</l><lb/>
              <l>Ulme</l><lb/>
              <l>Auf das vero&#x0364;dete Land, und in &#x017F;ich er&#x017F;terben</l><lb/>
              <l>die Stralen.&#x201C;</l>
            </lg><lb/>
            <lg n="6">
              <l>Al&#x017F;o &#x017F;ang vom &#x017F;chwankenden A&#x017F;t weißagend</l><lb/>
              <l>der Vogel,</l><lb/>
              <l>Und der Nordwind ver&#x017F;tummte; es nahten &#x017F;ich</l><lb/>
              <l>lindernde We&#x017F;te.</l><lb/>
              <l>Aber es &#x017F;chwebt' in der Ho&#x0364;h' mit ausge&#x017F;prei-</l><lb/>
              <l>teten Rudern,</l><lb/>
              <l>Und mit gierigem Aug' ein Geyer, du&#x0364;r&#x017F;tend</l><lb/>
              <l>nach Blute.</l><lb/>
              <l>Die&#x017F;er er&#x017F;ah den lieblichen Sa&#x0364;nger, und &#x017F;tu&#x0364;rzt</l><lb/>
              <l>von der Ho&#x0364;he,</l><lb/>
              <fw place="bottom" type="sig">I 4</fw><lb/>
            </lg>
          </lg>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[135/0140] Ueberſteigen die Stralen die meinigen. Waͤre zur Blume Sie des Haines geſchaffen, kein Bluͤmchen glich ihr an Reize, Keines an himmliſchem Glanz noch Duft. Sie ſenket ihr Auge Nieder vom nackten Gipfel der hocherhabenen Ulme Auf das veroͤdete Land, und in ſich erſterben die Stralen.“ Alſo ſang vom ſchwankenden Aſt weißagend der Vogel, Und der Nordwind verſtummte; es nahten ſich lindernde Weſte. Aber es ſchwebt' in der Hoͤh' mit ausgeſprei- teten Rudern, Und mit gierigem Aug' ein Geyer, duͤrſtend nach Blute. Dieſer erſah den lieblichen Saͤnger, und ſtuͤrzt von der Hoͤhe, I 4

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/herder_humanitaet04_1794
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/herder_humanitaet04_1794/140
Zitationshilfe: Herder, Johann Gottfried von: Briefe zu Beförderung der Humanität. Bd. 4. Riga, 1794, S. 135. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/herder_humanitaet04_1794/140>, abgerufen am 26.11.2024.