Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Herder, Johann Gottfried von: Briefe zu Beförderung der Humanität. Bd. 4. Riga, 1794.

Bild:
<< vorherige Seite

Das Idyll der Alten, (ein unbestimm-
ter Name,) hat mit dem Verfolg der Zei-
ten sich gleichsam willkührlich zu Land-
Schäfer-Hirten-Fischergedichten, kurz in
Gesellschaften zurückgezogen, in denen ohne
politische Kunst die unschuldige Natur re-
gieret. Manche von Bions, Moschus,
Theokrits Gesängen gehören dahin; und
die neuere Poesie, wenn sie der politischen
Welt und der wohllüstigen Kreise satt war,
hat ihr Daseyn dahin verleget. Virgil,
dessen meiste Eclogen bloße Nachbildungen
sind, entbrach sich nicht, in seinem Tity-
rus, Pollio, Silen diese reizende
Dichtung als eine Einfassung höherer Vor-
stellungen zu gebrauchen.

Daher als in den mittleren Zeiten die
Poesie wieder auflebte, erinnerte sie sich
bald ihres ehemaligen wahren Geburts-
landes unter Pflanzen und Blumen. Die

Das Idyll der Alten, (ein unbeſtimm-
ter Name,) hat mit dem Verfolg der Zei-
ten ſich gleichſam willkuͤhrlich zu Land-
Schaͤfer-Hirten-Fiſchergedichten, kurz in
Geſellſchaften zuruͤckgezogen, in denen ohne
politiſche Kunſt die unſchuldige Natur re-
gieret. Manche von Bions, Moſchus,
Theokrits Geſaͤngen gehoͤren dahin; und
die neuere Poeſie, wenn ſie der politiſchen
Welt und der wohlluͤſtigen Kreiſe ſatt war,
hat ihr Daſeyn dahin verleget. Virgil,
deſſen meiſte Eclogen bloße Nachbildungen
ſind, entbrach ſich nicht, in ſeinem Tity-
rus, Pollio, Silen dieſe reizende
Dichtung als eine Einfaſſung hoͤherer Vor-
ſtellungen zu gebrauchen.

Daher als in den mittleren Zeiten die
Poeſie wieder auflebte, erinnerte ſie ſich
bald ihres ehemaligen wahren Geburts-
landes unter Pflanzen und Blumen. Die

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <pb facs="#f0080" n="75"/>
        <p>Das Idyll der Alten, (ein unbe&#x017F;timm-<lb/>
ter Name,) hat mit dem Verfolg der Zei-<lb/>
ten &#x017F;ich gleich&#x017F;am willku&#x0364;hrlich zu Land-<lb/>
Scha&#x0364;fer-Hirten-Fi&#x017F;chergedichten, kurz in<lb/>
Ge&#x017F;ell&#x017F;chaften zuru&#x0364;ckgezogen, in denen ohne<lb/>
politi&#x017F;che Kun&#x017F;t die un&#x017F;chuldige Natur re-<lb/>
gieret. Manche von <hi rendition="#g">Bions</hi>, <hi rendition="#g">Mo&#x017F;chus</hi>,<lb/><hi rendition="#g">Theokrits</hi> Ge&#x017F;a&#x0364;ngen geho&#x0364;ren dahin; und<lb/>
die neuere Poe&#x017F;ie, wenn &#x017F;ie der politi&#x017F;chen<lb/>
Welt und der wohllu&#x0364;&#x017F;tigen Krei&#x017F;e &#x017F;att war,<lb/>
hat ihr Da&#x017F;eyn dahin verleget. <hi rendition="#g">Virgil</hi>,<lb/>
de&#x017F;&#x017F;en mei&#x017F;te Eclogen bloße Nachbildungen<lb/>
&#x017F;ind, entbrach &#x017F;ich nicht, in &#x017F;einem <hi rendition="#g">Tity</hi>-<lb/><hi rendition="#g">rus</hi>, <hi rendition="#g">Pollio</hi>, <hi rendition="#g">Silen</hi> die&#x017F;e reizende<lb/>
Dichtung als eine Einfa&#x017F;&#x017F;ung ho&#x0364;herer Vor-<lb/>
&#x017F;tellungen zu gebrauchen.</p><lb/>
        <p>Daher als in den mittleren Zeiten die<lb/>
Poe&#x017F;ie wieder auflebte, erinnerte &#x017F;ie &#x017F;ich<lb/>
bald ihres ehemaligen wahren Geburts-<lb/>
landes unter Pflanzen und Blumen. Die<lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[75/0080] Das Idyll der Alten, (ein unbeſtimm- ter Name,) hat mit dem Verfolg der Zei- ten ſich gleichſam willkuͤhrlich zu Land- Schaͤfer-Hirten-Fiſchergedichten, kurz in Geſellſchaften zuruͤckgezogen, in denen ohne politiſche Kunſt die unſchuldige Natur re- gieret. Manche von Bions, Moſchus, Theokrits Geſaͤngen gehoͤren dahin; und die neuere Poeſie, wenn ſie der politiſchen Welt und der wohlluͤſtigen Kreiſe ſatt war, hat ihr Daſeyn dahin verleget. Virgil, deſſen meiſte Eclogen bloße Nachbildungen ſind, entbrach ſich nicht, in ſeinem Tity- rus, Pollio, Silen dieſe reizende Dichtung als eine Einfaſſung hoͤherer Vor- ſtellungen zu gebrauchen. Daher als in den mittleren Zeiten die Poeſie wieder auflebte, erinnerte ſie ſich bald ihres ehemaligen wahren Geburts- landes unter Pflanzen und Blumen. Die

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/herder_humanitaet04_1794
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/herder_humanitaet04_1794/80
Zitationshilfe: Herder, Johann Gottfried von: Briefe zu Beförderung der Humanität. Bd. 4. Riga, 1794, S. 75. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/herder_humanitaet04_1794/80>, abgerufen am 21.11.2024.