Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Herder, Johann Gottfried von: Briefe zu Beförderung der Humanität. Bd. 5. Riga, 1795.

Bild:
<< vorherige Seite

mittelst derselben unter ihnen gepflanzt
war. Die imperatorische Sprache der
Römer gebot der Welt; eine Sprache des
Gesetzes und der Thaten. Wodurch hat
eine nachbarliche Nation seit mehr als ei-
nem Jahrhunderte so viel Einfluß auf alle
Völker Europa's gewonnen? Nebst andern
Ursachen vorzüglich auch durch ihre im
höchsten Sinne des Worts gebildete Na-
tionalsprache. Jeder der sich an ih-
ren Schriften ergötzte, trat damit in ihr
Reich ein und nahm Theil an ihnen. Sie
bildeten und mißbildeten; sie befahlen, sie
imponirten. Und die Sprache der Deut-
schen, die unsre Vorfahren eine Stamm-
Kern- und Heldensprache nannten, sollte
wie eine Ueberwundene den Siegeswagen
Andrer ziehn, und sich dabei noch in ih-
rem beschwerlichen Reichs- und Hofstyl
brüsten? Wirf ihn weg, den drückenden

Fünfte Samml. (K)

mittelſt derſelben unter ihnen gepflanzt
war. Die imperatoriſche Sprache der
Roͤmer gebot der Welt; eine Sprache des
Geſetzes und der Thaten. Wodurch hat
eine nachbarliche Nation ſeit mehr als ei-
nem Jahrhunderte ſo viel Einfluß auf alle
Voͤlker Europa's gewonnen? Nebſt andern
Urſachen vorzuͤglich auch durch ihre im
hoͤchſten Sinne des Worts gebildete Na-
tionalſprache. Jeder der ſich an ih-
ren Schriften ergoͤtzte, trat damit in ihr
Reich ein und nahm Theil an ihnen. Sie
bildeten und mißbildeten; ſie befahlen, ſie
imponirten. Und die Sprache der Deut-
ſchen, die unſre Vorfahren eine Stamm-
Kern- und Heldenſprache nannten, ſollte
wie eine Ueberwundene den Siegeswagen
Andrer ziehn, und ſich dabei noch in ih-
rem beſchwerlichen Reichs- und Hofſtyl
bruͤſten? Wirf ihn weg, den druͤckenden

Fuͤnfte Samml. (K)
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0160" n="145"/>
mittel&#x017F;t der&#x017F;elben unter ihnen gepflanzt<lb/>
war. Die imperatori&#x017F;che Sprache der<lb/>
Ro&#x0364;mer gebot der Welt; eine Sprache des<lb/>
Ge&#x017F;etzes und der Thaten. Wodurch hat<lb/>
eine nachbarliche Nation &#x017F;eit mehr als ei-<lb/>
nem Jahrhunderte &#x017F;o viel Einfluß auf alle<lb/>
Vo&#x0364;lker Europa's gewonnen? Neb&#x017F;t andern<lb/>
Ur&#x017F;achen vorzu&#x0364;glich auch durch ihre im<lb/>
ho&#x0364;ch&#x017F;ten Sinne des Worts gebildete <hi rendition="#g">Na</hi>-<lb/><hi rendition="#g">tional&#x017F;prache</hi>. Jeder der &#x017F;ich an ih-<lb/>
ren Schriften ergo&#x0364;tzte, trat damit in ihr<lb/>
Reich ein und nahm Theil an ihnen. Sie<lb/>
bildeten und mißbildeten; &#x017F;ie befahlen, &#x017F;ie<lb/>
imponirten. Und die Sprache der Deut-<lb/>
&#x017F;chen, die un&#x017F;re Vorfahren eine Stamm-<lb/>
Kern- und Helden&#x017F;prache nannten, &#x017F;ollte<lb/>
wie eine Ueberwundene den Siegeswagen<lb/>
Andrer ziehn, und &#x017F;ich dabei noch in ih-<lb/>
rem be&#x017F;chwerlichen Reichs- und Hof&#x017F;tyl<lb/>
bru&#x0364;&#x017F;ten? Wirf ihn weg, den dru&#x0364;ckenden<lb/>
<fw place="bottom" type="sig">Fu&#x0364;nfte Samml. (K)</fw><lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[145/0160] mittelſt derſelben unter ihnen gepflanzt war. Die imperatoriſche Sprache der Roͤmer gebot der Welt; eine Sprache des Geſetzes und der Thaten. Wodurch hat eine nachbarliche Nation ſeit mehr als ei- nem Jahrhunderte ſo viel Einfluß auf alle Voͤlker Europa's gewonnen? Nebſt andern Urſachen vorzuͤglich auch durch ihre im hoͤchſten Sinne des Worts gebildete Na- tionalſprache. Jeder der ſich an ih- ren Schriften ergoͤtzte, trat damit in ihr Reich ein und nahm Theil an ihnen. Sie bildeten und mißbildeten; ſie befahlen, ſie imponirten. Und die Sprache der Deut- ſchen, die unſre Vorfahren eine Stamm- Kern- und Heldenſprache nannten, ſollte wie eine Ueberwundene den Siegeswagen Andrer ziehn, und ſich dabei noch in ih- rem beſchwerlichen Reichs- und Hofſtyl bruͤſten? Wirf ihn weg, den druͤckenden Fuͤnfte Samml. (K)

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/herder_humanitaet05_1795
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/herder_humanitaet05_1795/160
Zitationshilfe: Herder, Johann Gottfried von: Briefe zu Beförderung der Humanität. Bd. 5. Riga, 1795, S. 145. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/herder_humanitaet05_1795/160>, abgerufen am 27.11.2024.