Idee nicht, die man gewöhnlich sich an ihm denket. Laura möge in Person oder zum leibhaften Petrarca gewesen seyn, wer sie wolle; dem geistigen Petrarca war sie eine Idee, an die er auf Erden und im Himmel, wie an das Bild einer Ma- donna, allen Reichthum seiner Phantasie, seines Herzens, seiner Erfahrungen, end- lich auch alle Schönheiten der Provenzalen vor ihm, dergestalt verwandte, daß er sie in seiner Sprache zum höchsten, ewigen Bilde aller sittlichen Weibesschön- heit zu machen strebte. Auf griechische Weise konnte dies nicht geschehen; eine nackte Grazie oder eine Venus Urania konnte und wollte Er nicht mahlen; er wählte also die Züge, die in seinem Zeit- geist, in der provenzalischen Poesie, in den Begriffen seiner Religion und ihren Dar- stellungen als Stoff eines reinen weib-
Fünfte Samml. (B)
Idee nicht, die man gewoͤhnlich ſich an ihm denket. Laura moͤge in Perſon oder zum leibhaften Petrarca geweſen ſeyn, wer ſie wolle; dem geiſtigen Petrarca war ſie eine Idee, an die er auf Erden und im Himmel, wie an das Bild einer Ma- donna, allen Reichthum ſeiner Phantaſie, ſeines Herzens, ſeiner Erfahrungen, end- lich auch alle Schoͤnheiten der Provenzalen vor ihm, dergeſtalt verwandte, daß er ſie in ſeiner Sprache zum hoͤchſten, ewigen Bilde aller ſittlichen Weibesſchoͤn- heit zu machen ſtrebte. Auf griechiſche Weiſe konnte dies nicht geſchehen; eine nackte Grazie oder eine Venus Urania konnte und wollte Er nicht mahlen; er waͤhlte alſo die Zuͤge, die in ſeinem Zeit- geiſt, in der provenzaliſchen Poeſie, in den Begriffen ſeiner Religion und ihren Dar- ſtellungen als Stoff eines reinen weib-
Fuͤnfte Samml. (B)
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Idee nicht, die man gewoͤhnlich ſich an
ihm denket. Laura moͤge in Perſon oder
zum leibhaften Petrarca geweſen ſeyn, wer
ſie wolle; dem geiſtigen Petrarca war ſie
eine Idee, an die er auf Erden und im
Himmel, wie an das Bild einer Ma-
donna, allen Reichthum ſeiner Phantaſie,
ſeines Herzens, ſeiner Erfahrungen, end-
lich auch alle Schoͤnheiten der Provenzalen
vor ihm, dergeſtalt verwandte, daß er ſie
in ſeiner Sprache zum hoͤchſten, ewigen
Bilde aller ſittlichen Weibesſchoͤn-
heit zu machen ſtrebte. Auf griechiſche
Weiſe konnte dies nicht geſchehen; eine
nackte Grazie oder eine Venus Urania
konnte und wollte Er nicht mahlen; er
waͤhlte alſo die Zuͤge, die in ſeinem Zeit-
geiſt, in der provenzaliſchen Poeſie, in den
Begriffen ſeiner Religion und ihren Dar-
ſtellungen als Stoff eines reinen weib-
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Herder, Johann Gottfried von: Briefe zu Beförderung der Humanität. Bd. 5. Riga, 1795, S. 17. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/herder_humanitaet05_1795/32>, abgerufen am 16.07.2024.
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