gemeinschaftlichen Schritt in der Kultur gehalten, daß schwerlich eine Vorstellungs- art zu finden wäre, die auf alle Theile desselben, als auf Ein gemeinsames Publicum, mit gleicher Macht wirkte. Nicht aber nur Provinzen und Kreise, selbst Stände haben sich von einander ge- sondert, indem seit einem Jahrhunderte die sogenannten obern Stände eine völlig fremde Sprache angenommen, eine frem- de Erziehung und Lebensweise beliebt ha- ben. In dieser fremden Sprache sind seit einem Jahrhunderte unter den genannten Ständen die Gesellschaftsgespräche geführt, Staats-Unterhandlungen und Liebeshändel getrieben, öffentliche und vertraute Brie- fe gewechselt worden, so daß wer einige Zeilen schreiben konnte, solche nothwendig vormals italienisch, nachher französisch schreiben mußte. Mit wem man Deutsch
gemeinſchaftlichen Schritt in der Kultur gehalten, daß ſchwerlich eine Vorſtellungs- art zu finden waͤre, die auf alle Theile deſſelben, als auf Ein gemeinſames Publicum, mit gleicher Macht wirkte. Nicht aber nur Provinzen und Kreiſe, ſelbſt Staͤnde haben ſich von einander ge- ſondert, indem ſeit einem Jahrhunderte die ſogenannten obern Staͤnde eine voͤllig fremde Sprache angenommen, eine frem- de Erziehung und Lebensweiſe beliebt ha- ben. In dieſer fremden Sprache ſind ſeit einem Jahrhunderte unter den genannten Staͤnden die Geſellſchaftsgeſpraͤche gefuͤhrt, Staats-Unterhandlungen und Liebeshaͤndel getrieben, oͤffentliche und vertraute Brie- fe gewechſelt worden, ſo daß wer einige Zeilen ſchreiben konnte, ſolche nothwendig vormals italieniſch, nachher franzoͤſiſch ſchreiben mußte. Mit wem man Deutſch
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gemeinſchaftlichen Schritt in der Kultur
gehalten, daß ſchwerlich eine Vorſtellungs-
art zu finden waͤre, die auf alle Theile
deſſelben, als auf Ein gemeinſames
Publicum, mit gleicher Macht wirkte.
Nicht aber nur Provinzen und Kreiſe,
ſelbſt Staͤnde haben ſich von einander ge-
ſondert, indem ſeit einem Jahrhunderte
die ſogenannten obern Staͤnde eine voͤllig
fremde Sprache angenommen, eine frem-
de Erziehung und Lebensweiſe beliebt ha-
ben. In dieſer fremden Sprache ſind ſeit
einem Jahrhunderte unter den genannten
Staͤnden die Geſellſchaftsgeſpraͤche gefuͤhrt,
Staats-Unterhandlungen und Liebeshaͤndel
getrieben, oͤffentliche und vertraute Brie-
fe gewechſelt worden, ſo daß wer einige
Zeilen ſchreiben konnte, ſolche nothwendig
vormals italieniſch, nachher franzoͤſiſch
ſchreiben mußte. Mit wem man Deutſch
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Herder, Johann Gottfried von: Briefe zu Beförderung der Humanität. Bd. 5. Riga, 1795, S. 63. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/herder_humanitaet05_1795/78>, abgerufen am 16.02.2025.
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