Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Herder, Johann Gottfried von: Briefe zu Beförderung der Humanität. Bd. 5. Riga, 1795.

Bild:
<< vorherige Seite
nächste Seite >>

sen Geschmack des Publicums nicht ab-
hange, sondern diesen Geschmack ausrotte,
oder ihn zum Guten lenke. In Athen ent-
stand das Theater zu Aeschylus Zeit
aus dem hohen Gefühl der Freiheit und
des Sieges über den großen König; dies
Gefühl stimmte die Seele zum Anblick an-
drer großen Begebenheiten, die tragisch
vorgestellt wurden. In Frankreich und
England ist das Theater, (die Modifica-
tionen der Zeit abgerechnet,) auf ähnliche
Weise entstanden: denn wenn man von
großen Begebenheiten seiner Zeit hört oder
lieset, so will man diese auch, durch Kunst
bearbeitet, und von ihr vorgestellt, sehen.
Das Publicum der Welt wird sodann von
selbst ein Publicum des Theaters. Gleicher-
gestalt fodert die Komödie, die Charaktere
und Sitten vorstellt, eine anschauende
Kenntniß der Nation, eine leichte Exsi-

stenz,

ſen Geſchmack des Publicums nicht ab-
hange, ſondern dieſen Geſchmack ausrotte,
oder ihn zum Guten lenke. In Athen ent-
ſtand das Theater zu Aeſchylus Zeit
aus dem hohen Gefuͤhl der Freiheit und
des Sieges uͤber den großen Koͤnig; dies
Gefuͤhl ſtimmte die Seele zum Anblick an-
drer großen Begebenheiten, die tragiſch
vorgeſtellt wurden. In Frankreich und
England iſt das Theater, (die Modifica-
tionen der Zeit abgerechnet,) auf aͤhnliche
Weiſe entſtanden: denn wenn man von
großen Begebenheiten ſeiner Zeit hoͤrt oder
lieſet, ſo will man dieſe auch, durch Kunſt
bearbeitet, und von ihr vorgeſtellt, ſehen.
Das Publicum der Welt wird ſodann von
ſelbſt ein Publicum des Theaters. Gleicher-
geſtalt fodert die Komoͤdie, die Charaktere
und Sitten vorſtellt, eine anſchauende
Kenntniß der Nation, eine leichte Exſi-

ſtenz,
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0095" n="80"/>
&#x017F;en Ge&#x017F;chmack des Publicums nicht ab-<lb/>
hange, &#x017F;ondern die&#x017F;en Ge&#x017F;chmack ausrotte,<lb/>
oder ihn zum Guten lenke. In Athen ent-<lb/>
&#x017F;tand das Theater zu <hi rendition="#g">Ae&#x017F;chylus</hi> Zeit<lb/>
aus dem hohen Gefu&#x0364;hl der Freiheit und<lb/>
des Sieges u&#x0364;ber den großen Ko&#x0364;nig; dies<lb/>
Gefu&#x0364;hl &#x017F;timmte die Seele zum Anblick an-<lb/>
drer großen Begebenheiten, die tragi&#x017F;ch<lb/>
vorge&#x017F;tellt wurden. In Frankreich und<lb/>
England i&#x017F;t das Theater, (die Modifica-<lb/>
tionen der Zeit abgerechnet,) auf a&#x0364;hnliche<lb/>
Wei&#x017F;e ent&#x017F;tanden: denn wenn man von<lb/>
großen Begebenheiten &#x017F;einer Zeit ho&#x0364;rt oder<lb/>
lie&#x017F;et, &#x017F;o will man die&#x017F;e auch, durch Kun&#x017F;t<lb/>
bearbeitet, und von ihr vorge&#x017F;tellt, &#x017F;ehen.<lb/>
Das Publicum der Welt wird &#x017F;odann von<lb/>
&#x017F;elb&#x017F;t ein Publicum des Theaters. Gleicher-<lb/>
ge&#x017F;talt fodert die Komo&#x0364;die, die Charaktere<lb/>
und Sitten vor&#x017F;tellt, eine an&#x017F;chauende<lb/>
Kenntniß der Nation, eine leichte Ex&#x017F;i-<lb/>
<fw place="bottom" type="catch">&#x017F;tenz,</fw><lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[80/0095] ſen Geſchmack des Publicums nicht ab- hange, ſondern dieſen Geſchmack ausrotte, oder ihn zum Guten lenke. In Athen ent- ſtand das Theater zu Aeſchylus Zeit aus dem hohen Gefuͤhl der Freiheit und des Sieges uͤber den großen Koͤnig; dies Gefuͤhl ſtimmte die Seele zum Anblick an- drer großen Begebenheiten, die tragiſch vorgeſtellt wurden. In Frankreich und England iſt das Theater, (die Modifica- tionen der Zeit abgerechnet,) auf aͤhnliche Weiſe entſtanden: denn wenn man von großen Begebenheiten ſeiner Zeit hoͤrt oder lieſet, ſo will man dieſe auch, durch Kunſt bearbeitet, und von ihr vorgeſtellt, ſehen. Das Publicum der Welt wird ſodann von ſelbſt ein Publicum des Theaters. Gleicher- geſtalt fodert die Komoͤdie, die Charaktere und Sitten vorſtellt, eine anſchauende Kenntniß der Nation, eine leichte Exſi- ſtenz,

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/herder_humanitaet05_1795
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/herder_humanitaet05_1795/95
Zitationshilfe: Herder, Johann Gottfried von: Briefe zu Beförderung der Humanität. Bd. 5. Riga, 1795, S. 80. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/herder_humanitaet05_1795/95>, abgerufen am 21.11.2024.