"An der tödtenden Gleichgültigkeit für ein örtliches allgemeines Beßte waren Re- gierungen weniger Schuld, als Theolo- gen, Staatsbeamte, Philosophen. Die Theologen zuerst sagten: die Erde sei ein Gasthaus für Durchreisende, die nur im Himmel Bürger wären; als wenn Der dort ein guter Bürger werden könnte, der hier ein schlechter war. Die niedern Staatsbeamten redeten nur von einem Krons-Interesse; ein Wort, worinn kein Sinn ist, wenn dieses Interesse mit dem allgemeinen Wohl in Widerspruch genom- men wird. Und nun die Philosophen mit ihrer Alleweltsbürgerschaft, die nirgend zu Hause ist? Ich bin ein Bürger der Stadt, und nichts was meinen Mitbürger darinn angeht, ist mir fremd. -- Diese Gesinnung ist be- schränkter, hat aber mehr Energie, als
Sechste Samml. L
„An der toͤdtenden Gleichguͤltigkeit fuͤr ein oͤrtliches allgemeines Beßte waren Re- gierungen weniger Schuld, als Theolo- gen, Staatsbeamte, Philoſophen. Die Theologen zuerſt ſagten: die Erde ſei ein Gaſthaus fuͤr Durchreiſende, die nur im Himmel Buͤrger waͤren; als wenn Der dort ein guter Buͤrger werden koͤnnte, der hier ein ſchlechter war. Die niedern Staatsbeamten redeten nur von einem Krons-Intereſſe; ein Wort, worinn kein Sinn iſt, wenn dieſes Intereſſe mit dem allgemeinen Wohl in Widerſpruch genom- men wird. Und nun die Philoſophen mit ihrer Alleweltsbuͤrgerſchaft, die nirgend zu Hauſe iſt? Ich bin ein Buͤrger der Stadt, und nichts was meinen Mitbuͤrger darinn angeht, iſt mir fremd. — Dieſe Geſinnung iſt be- ſchraͤnkter, hat aber mehr Energie, als
Sechste Samml. L
<TEI><text><body><divn="1"><pbfacs="#f0176"n="161"/><p>„An der toͤdtenden Gleichguͤltigkeit fuͤr<lb/>
ein oͤrtliches allgemeines Beßte waren Re-<lb/>
gierungen weniger Schuld, als <hirendition="#g">Theolo</hi>-<lb/><hirendition="#g">gen</hi>, <hirendition="#g">Staatsbeamte</hi>, <hirendition="#g">Philoſophen</hi>.<lb/>
Die Theologen zuerſt ſagten: die Erde ſei<lb/>
ein Gaſthaus fuͤr Durchreiſende, die nur<lb/>
im Himmel Buͤrger waͤren; als wenn Der<lb/>
dort ein guter Buͤrger werden koͤnnte,<lb/>
der hier ein ſchlechter war. Die niedern<lb/>
Staatsbeamten redeten nur von einem<lb/>
Krons-Intereſſe; ein Wort, worinn kein<lb/>
Sinn iſt, wenn dieſes Intereſſe mit dem<lb/>
allgemeinen Wohl in Widerſpruch genom-<lb/>
men wird. Und nun die Philoſophen mit<lb/>
ihrer Alleweltsbuͤrgerſchaft, die nirgend<lb/>
zu Hauſe iſt? <hirendition="#g">Ich bin ein Buͤrger der<lb/>
Stadt</hi>, <hirendition="#g">und nichts was meinen<lb/>
Mitbuͤrger darinn angeht</hi>, <hirendition="#g">iſt mir<lb/>
fremd</hi>. — Dieſe Geſinnung iſt be-<lb/>ſchraͤnkter, hat aber mehr Energie, als<lb/><fwplace="bottom"type="sig">Sechste Samml. L</fw><lb/></p></div></body></text></TEI>
[161/0176]
„An der toͤdtenden Gleichguͤltigkeit fuͤr
ein oͤrtliches allgemeines Beßte waren Re-
gierungen weniger Schuld, als Theolo-
gen, Staatsbeamte, Philoſophen.
Die Theologen zuerſt ſagten: die Erde ſei
ein Gaſthaus fuͤr Durchreiſende, die nur
im Himmel Buͤrger waͤren; als wenn Der
dort ein guter Buͤrger werden koͤnnte,
der hier ein ſchlechter war. Die niedern
Staatsbeamten redeten nur von einem
Krons-Intereſſe; ein Wort, worinn kein
Sinn iſt, wenn dieſes Intereſſe mit dem
allgemeinen Wohl in Widerſpruch genom-
men wird. Und nun die Philoſophen mit
ihrer Alleweltsbuͤrgerſchaft, die nirgend
zu Hauſe iſt? Ich bin ein Buͤrger der
Stadt, und nichts was meinen
Mitbuͤrger darinn angeht, iſt mir
fremd. — Dieſe Geſinnung iſt be-
ſchraͤnkter, hat aber mehr Energie, als
Sechste Samml. L
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Herder, Johann Gottfried von: Briefe zu Beförderung der Humanität. Bd. 6. Riga, 1795, S. 161. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/herder_humanitaet06_1795/176>, abgerufen am 18.07.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.