Herder, Johann Gottfried von: Briefe zu Beförderung der Humanität. Bd. 7. Riga, 1796.seln und redend zu machen, den man ge- So ist es auch mit dem Geist Eines ſeln und redend zu machen, den man ge- So iſt es auch mit dem Geiſt Eines <TEI> <text> <body> <div n="1"> <p><pb facs="#f0157" n="140"/> ſeln und redend zu machen, den man ge-<lb/> woͤhnlich <hi rendition="#g">Nationalcharakter</hi> nennt und<lb/> der ſich gewiß nicht weniger in Schriften<lb/> als in Gebraͤuchen und Handlungen der<lb/> Nation aͤußert; dies iſt eine hohe und feine<lb/> Philoſophie. In den Werken der Dichtkunſt<lb/> d. i. der Einbildungskraft und der Empfin-<lb/> dungen wird ſie am ſicherſten geuͤbet, weil<lb/> in dieſen die <hi rendition="#g">ganze Seele</hi> der Nation<lb/> ſich am freieſten zeiget.</p><lb/> <p>So iſt es auch mit dem <hi rendition="#g">Geiſt Eines<lb/> oder mehrerer Zeitalter</hi>, ſo viel die-<lb/> ſer Name unter ſich begreifet: denn jedes<lb/> Zeitalter hat ſeinen Ton, ſeine Farbe; und<lb/> es giebt ein eignes Vergnuͤgen, dieſe im<lb/> Gegenſatz mit andern Zeiten treffend zu<lb/> charakteriſiren. Mir ſind z. B. die ſoge-<lb/> nannten <hi rendition="#g">mittleren Zeiten</hi> auch in ihren<lb/> Maͤhrchen, in dem guten Glauben und<lb/> Aberglauben, der ſie beherrſchte, in der<lb/></p> </div> </body> </text> </TEI> [140/0157]
ſeln und redend zu machen, den man ge-
woͤhnlich Nationalcharakter nennt und
der ſich gewiß nicht weniger in Schriften
als in Gebraͤuchen und Handlungen der
Nation aͤußert; dies iſt eine hohe und feine
Philoſophie. In den Werken der Dichtkunſt
d. i. der Einbildungskraft und der Empfin-
dungen wird ſie am ſicherſten geuͤbet, weil
in dieſen die ganze Seele der Nation
ſich am freieſten zeiget.
So iſt es auch mit dem Geiſt Eines
oder mehrerer Zeitalter, ſo viel die-
ſer Name unter ſich begreifet: denn jedes
Zeitalter hat ſeinen Ton, ſeine Farbe; und
es giebt ein eignes Vergnuͤgen, dieſe im
Gegenſatz mit andern Zeiten treffend zu
charakteriſiren. Mir ſind z. B. die ſoge-
nannten mittleren Zeiten auch in ihren
Maͤhrchen, in dem guten Glauben und
Aberglauben, der ſie beherrſchte, in der
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