Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Herder, Johann Gottfried von: Briefe zu Beförderung der Humanität. Bd. 10. Riga, 1797.

Bild:
<< vorherige Seite

sind in der Saat der Zeit Samenkörner
der glücklichsten Ernte. Das Menschen-
geschlecht ist Ein Ganzes; wir arbeiten
und dulden, säen und ernten für ein-
ander.

Wie milde, wie sanft aufmunternd;
aber auch wie ernst und zusammenhaltend
ist dieser Geist der Menschengeschichte! Er
läßt jedes Volk an Stelle und Ort: denn
jedes hat seine Regel des Rechts, sein
Maas der Glückseligkeit in sich. Er scho-
net alle und verzärtelt keines. Sündigen
die Völker, so büßen sie; und büßen so
lange und schwer, bis sie nicht mehr sün-
digen. Wollen sie nicht Kinder seyn, so
erzieht die Natur sie als Sklaven.

Keiner politischen Verfassung tritt die-
ser Geist der Geschichte zerstörend in den
Weg. Er wirft nicht das Haus dem Ru-
higen über den Kopf zusammen, ehe ein

ſind in der Saat der Zeit Samenkoͤrner
der gluͤcklichſten Ernte. Das Menſchen-
geſchlecht iſt Ein Ganzes; wir arbeiten
und dulden, ſaͤen und ernten fuͤr ein-
ander.

Wie milde, wie ſanft aufmunternd;
aber auch wie ernſt und zuſammenhaltend
iſt dieſer Geiſt der Menſchengeſchichte! Er
laͤßt jedes Volk an Stelle und Ort: denn
jedes hat ſeine Regel des Rechts, ſein
Maas der Gluͤckſeligkeit in ſich. Er ſcho-
net alle und verzaͤrtelt keines. Suͤndigen
die Voͤlker, ſo buͤßen ſie; und buͤßen ſo
lange und ſchwer, bis ſie nicht mehr ſuͤn-
digen. Wollen ſie nicht Kinder ſeyn, ſo
erzieht die Natur ſie als Sklaven.

Keiner politiſchen Verfaſſung tritt die-
ſer Geiſt der Geſchichte zerſtoͤrend in den
Weg. Er wirft nicht das Haus dem Ru-
higen uͤber den Kopf zuſammen, ehe ein

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0175" n="168"/>
&#x017F;ind in der Saat der Zeit Samenko&#x0364;rner<lb/>
der glu&#x0364;cklich&#x017F;ten Ernte. Das Men&#x017F;chen-<lb/>
ge&#x017F;chlecht i&#x017F;t <hi rendition="#g">Ein Ganzes</hi>; wir arbeiten<lb/>
und dulden, &#x017F;a&#x0364;en und ernten fu&#x0364;r ein-<lb/>
ander.</p><lb/>
        <p>Wie milde, wie &#x017F;anft aufmunternd;<lb/>
aber auch wie ern&#x017F;t und zu&#x017F;ammenhaltend<lb/>
i&#x017F;t die&#x017F;er Gei&#x017F;t der Men&#x017F;chenge&#x017F;chichte! Er<lb/>
la&#x0364;ßt jedes Volk an Stelle und Ort: denn<lb/>
jedes hat <hi rendition="#g">&#x017F;eine</hi> Regel des Rechts, <hi rendition="#g">&#x017F;ein</hi><lb/>
Maas der Glu&#x0364;ck&#x017F;eligkeit in &#x017F;ich. Er &#x017F;cho-<lb/>
net alle und verza&#x0364;rtelt keines. Su&#x0364;ndigen<lb/>
die Vo&#x0364;lker, &#x017F;o bu&#x0364;ßen &#x017F;ie; und bu&#x0364;ßen &#x017F;o<lb/>
lange und &#x017F;chwer, bis &#x017F;ie nicht mehr &#x017F;u&#x0364;n-<lb/>
digen. Wollen &#x017F;ie nicht Kinder &#x017F;eyn, &#x017F;o<lb/>
erzieht die Natur &#x017F;ie als Sklaven.</p><lb/>
        <p>Keiner politi&#x017F;chen Verfa&#x017F;&#x017F;ung tritt die-<lb/>
&#x017F;er Gei&#x017F;t der Ge&#x017F;chichte zer&#x017F;to&#x0364;rend in den<lb/>
Weg. Er wirft nicht das Haus dem Ru-<lb/>
higen u&#x0364;ber den Kopf zu&#x017F;ammen, ehe ein<lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[168/0175] ſind in der Saat der Zeit Samenkoͤrner der gluͤcklichſten Ernte. Das Menſchen- geſchlecht iſt Ein Ganzes; wir arbeiten und dulden, ſaͤen und ernten fuͤr ein- ander. Wie milde, wie ſanft aufmunternd; aber auch wie ernſt und zuſammenhaltend iſt dieſer Geiſt der Menſchengeſchichte! Er laͤßt jedes Volk an Stelle und Ort: denn jedes hat ſeine Regel des Rechts, ſein Maas der Gluͤckſeligkeit in ſich. Er ſcho- net alle und verzaͤrtelt keines. Suͤndigen die Voͤlker, ſo buͤßen ſie; und buͤßen ſo lange und ſchwer, bis ſie nicht mehr ſuͤn- digen. Wollen ſie nicht Kinder ſeyn, ſo erzieht die Natur ſie als Sklaven. Keiner politiſchen Verfaſſung tritt die- ſer Geiſt der Geſchichte zerſtoͤrend in den Weg. Er wirft nicht das Haus dem Ru- higen uͤber den Kopf zuſammen, ehe ein

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/herder_humanitaet10_1797
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/herder_humanitaet10_1797/175
Zitationshilfe: Herder, Johann Gottfried von: Briefe zu Beförderung der Humanität. Bd. 10. Riga, 1797, S. 168. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/herder_humanitaet10_1797/175>, abgerufen am 21.11.2024.