Herder, Johann Gottfried von: Briefe zu Beförderung der Humanität. Bd. 10. Riga, 1797.Ich sah den Menschenwidrigsten Anblick. Ein Neger, halb zerfleischt, Zerbissen; schon Ein Auge war Ihm ausgehackt. Ein Wespenschwarm An offnen Wunden sog aus ihm Den letzten Saft. Ich schauderte. Und sah umher. Da stand ein Rohr Mit einem Kürbis, womit ihn Barmherzig schon sein Freund gelabt. Ich füllete den Kürbis. -- "Ach! Rief jenes Aechzen wieder, Gift Darein thun, Gift! du weißer Mann! Ich kann nicht sterben." Zitternd reicht' Ich ihm den Wassertrank: "Wie lang' O Unglückselger, bist du hier?" -- "Zwei Tage; und nicht sterben! Ach, Die Vögel! Wespen! Schmerz! o Weh!" Ich eilte fort und fand das Haus Des Herrn im Tanz, in heller Luft. Und als ich nach dem Aechzenden Behut-
Ich ſah den Menſchenwidrigſten Anblick. Ein Neger, halb zerfleiſcht, Zerbiſſen; ſchon Ein Auge war Ihm ausgehackt. Ein Weſpenſchwarm An offnen Wunden ſog aus ihm Den letzten Saft. Ich ſchauderte. Und ſah umher. Da ſtand ein Rohr Mit einem Kuͤrbis, womit ihn Barmherzig ſchon ſein Freund gelabt. Ich fuͤllete den Kuͤrbis. — „Ach! Rief jenes Aechzen wieder, Gift Darein thun, Gift! du weißer Mann! Ich kann nicht ſterben.“ Zitternd reicht' Ich ihm den Waſſertrank: „Wie lang' O Ungluͤckſelger, biſt du hier?“ — „Zwei Tage; und nicht ſterben! Ach, Die Voͤgel! Weſpen! Schmerz! o Weh!“ Ich eilte fort und fand das Haus Des Herrn im Tanz, in heller Luft. Und als ich nach dem Aechzenden Behut-
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Ich ſah den Menſchenwidrigſten
Anblick. Ein Neger, halb zerfleiſcht,
Zerbiſſen; ſchon Ein Auge war
Ihm ausgehackt. Ein Weſpenſchwarm
An offnen Wunden ſog aus ihm
Den letzten Saft. Ich ſchauderte.
Und ſah umher. Da ſtand ein Rohr
Mit einem Kuͤrbis, womit ihn
Barmherzig ſchon ſein Freund gelabt.
Ich fuͤllete den Kuͤrbis. — „Ach!
Rief jenes Aechzen wieder, Gift
Darein thun, Gift! du weißer Mann!
Ich kann nicht ſterben.“
Zitternd reicht'
Ich ihm den Waſſertrank: „Wie lang'
O Ungluͤckſelger, biſt du hier?“ —
„Zwei Tage; und nicht ſterben! Ach,
Die Voͤgel! Weſpen! Schmerz!
o Weh!“
Ich eilte fort und fand das Haus
Des Herrn im Tanz, in heller Luft.
Und als ich nach dem Aechzenden
Behut-
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