[Herder, Johann Gottfried von]: Kritische Wälder. Bd. 1. [Riga], 1769.Erstes Wäldchen. beiden Seiten hin: und in ihrem Anblicke stellen wiruns zugleich das stille Meer vor, aus dem sich diese sanfte Welle der Bewegung und Leidenschaft erho- ben; zugleich auch: Wie wenn die Welle sich mehr hübe? wie wenn aus diesem hauchenden Zephyr ein reißender Sturm der Leidenschaft würde? wie wür- den sich alsdann die Fluthen thürmen, und der Aus- druck aufschwellen! -- Welch weites Feld der Ge- danken liegt also in dem Anblicke der sanften Ruhe des griechischen Ausdrucks! Jch glaube, von zweien Problemen, den dern H 3
Erſtes Waͤldchen. beiden Seiten hin: und in ihrem Anblicke ſtellen wiruns zugleich das ſtille Meer vor, aus dem ſich dieſe ſanfte Welle der Bewegung und Leidenſchaft erho- ben; zugleich auch: Wie wenn die Welle ſich mehr huͤbe? wie wenn aus dieſem hauchenden Zephyr ein reißender Sturm der Leidenſchaft wuͤrde? wie wuͤr- den ſich alsdann die Fluthen thuͤrmen, und der Aus- druck aufſchwellen! — Welch weites Feld der Ge- danken liegt alſo in dem Anblicke der ſanften Ruhe des griechiſchen Ausdrucks! Jch glaube, von zweien Problemen, den dern H 3
<TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <p><pb facs="#f0123" n="117"/><fw place="top" type="header"><hi rendition="#b">Erſtes Waͤldchen.</hi></fw><lb/> beiden Seiten hin: und in ihrem Anblicke ſtellen wir<lb/> uns zugleich das ſtille Meer vor, aus dem ſich dieſe<lb/> ſanfte Welle der Bewegung und Leidenſchaft erho-<lb/> ben; zugleich auch: Wie wenn die Welle ſich mehr<lb/> huͤbe? wie wenn aus dieſem hauchenden Zephyr ein<lb/> reißender Sturm der Leidenſchaft wuͤrde? wie wuͤr-<lb/> den ſich alsdann die Fluthen thuͤrmen, und der Aus-<lb/> druck aufſchwellen! — Welch weites Feld der Ge-<lb/> danken liegt alſo in dem Anblicke der ſanften Ruhe<lb/> des griechiſchen Ausdrucks!</p><lb/> <p>Jch glaube, von zweien Problemen, den<lb/> Grund in dem Weſen der Kunſt geſunden zu ha-<lb/> ben. <hi rendition="#fr">Warum</hi> iſt bei der bildenden Kunſt das<lb/> hoͤchſte Geſetz Schoͤnheit? Weil ſie <hi rendition="#fr">neben einan-<lb/> der</hi> wirket, ihre Wirkung alſo <hi rendition="#fr">in einen Augen-<lb/> blick</hi> einſchließet, und ihr Werk fuͤr <hi rendition="#fr">einen ewigen<lb/> Anblick</hi> erſchaffet. Dieſer einzige Anblick liefere<lb/> alſo das Hoͤchſte, was ewig veſt haͤlt in ſeinen Ar-<lb/> men — die <hi rendition="#fr">Schoͤnheit.</hi> — Koͤrperliche Schoͤn-<lb/> heit iſt indeſſen noch nicht befriedigend: durch unſer<lb/> Auge blickt eine Seele, und durch die uns vorgeſtell-<lb/> te Schoͤnheit blicke alſo auch eine Seele durch. Jn<lb/> welchem Zuſtande dieſe? Ohne Zweifel in dem, der<lb/> meinen Anblick ewig erhalten, der mir das laͤngſte<lb/> Anſchauen verſchaffen kann. Und welches iſt der?<lb/> Kein Zuſtand der faulen Ruhe, der giebt mir nichts<lb/> zu denken: kein Uebertriebnes im Ausdrucke: dieß<lb/> ſchneidet meiner Einbildungskraft die Fluͤgel: ſon-<lb/> <fw place="bottom" type="sig">H 3</fw><fw place="bottom" type="catch">dern</fw><lb/></p> </div> </div> </body> </text> </TEI> [117/0123]
Erſtes Waͤldchen.
beiden Seiten hin: und in ihrem Anblicke ſtellen wir
uns zugleich das ſtille Meer vor, aus dem ſich dieſe
ſanfte Welle der Bewegung und Leidenſchaft erho-
ben; zugleich auch: Wie wenn die Welle ſich mehr
huͤbe? wie wenn aus dieſem hauchenden Zephyr ein
reißender Sturm der Leidenſchaft wuͤrde? wie wuͤr-
den ſich alsdann die Fluthen thuͤrmen, und der Aus-
druck aufſchwellen! — Welch weites Feld der Ge-
danken liegt alſo in dem Anblicke der ſanften Ruhe
des griechiſchen Ausdrucks!
Jch glaube, von zweien Problemen, den
Grund in dem Weſen der Kunſt geſunden zu ha-
ben. Warum iſt bei der bildenden Kunſt das
hoͤchſte Geſetz Schoͤnheit? Weil ſie neben einan-
der wirket, ihre Wirkung alſo in einen Augen-
blick einſchließet, und ihr Werk fuͤr einen ewigen
Anblick erſchaffet. Dieſer einzige Anblick liefere
alſo das Hoͤchſte, was ewig veſt haͤlt in ſeinen Ar-
men — die Schoͤnheit. — Koͤrperliche Schoͤn-
heit iſt indeſſen noch nicht befriedigend: durch unſer
Auge blickt eine Seele, und durch die uns vorgeſtell-
te Schoͤnheit blicke alſo auch eine Seele durch. Jn
welchem Zuſtande dieſe? Ohne Zweifel in dem, der
meinen Anblick ewig erhalten, der mir das laͤngſte
Anſchauen verſchaffen kann. Und welches iſt der?
Kein Zuſtand der faulen Ruhe, der giebt mir nichts
zu denken: kein Uebertriebnes im Ausdrucke: dieß
ſchneidet meiner Einbildungskraft die Fluͤgel: ſon-
dern
H 3
Suche im WerkInformationen zum Werk
Download dieses Werks
XML (TEI P5) ·
HTML ·
Text Metadaten zum WerkTEI-Header · CMDI · Dublin Core Ansichten dieser Seite
Voyant Tools ?Language Resource Switchboard?FeedbackSie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden. Kommentar zur DTA-AusgabeDieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.
|
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden. Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des § 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
2007–2024 Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften.
Kontakt: redaktion(at)deutschestextarchiv.de. |