Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

[Herder, Johann Gottfried von]: Kritische Wälder. Bd. 1. [Riga], 1769.

Bild:
<< vorherige Seite

Kritische Wälder.
zugemischt werden: damit es die Hauptempfindung
ja nicht schwäche, damit der Schauder nicht Un-
wille
werde, wenn ers nicht werden soll.

Wo ein Gegenstand durch das Jngrediens des
Häßlichen lächerlich werden soll; da kann er, so
lange er in den Grenzen der Wahrscheinlichkeit bleibt
und den Kontrast abwieget, nie zu häßlich seyn.
Aber das Häßliche zum Schrecklichen kann aller-
dings zu sehr verstärkt, und als Hauptingrediens
behandelt, das Schreckliche wirklich hindern. Ei-
nen Gegenstand ganz häßlich fühlen, so daß die Jdee
des Unwillens, des Ekels, jede andere verdunkelt,
heißt gewiß nicht, ihn ganz fürchterlich empfinden.
Das Gefühl des Schrecklichen ist Schauder der
Furcht: das Blut tritt zum Herzen zurück: Blöße
bedeckt das Gesicht: Kälte läuft den Körper her-
ab; bald aber nimmt sich die Natur zur Selbst-
vertheidigung zusammen: das Blut tritt verstärkt
in seinen vorigen Gang: die Wangen röthen sich:
das Feuer breitet sich wieder aus: die Furcht ist
vorbei: der Schrecken ist in Zorn verwandelt.
So erzeugte, gebar und tödtete sich die Em-
pfindung des Schrecklichen. -- Aber die Em-
pfindung des Häßlichen wie weit anders: der Miß-
ton, die widerwärtige Erscheinung, die wir häß-
lich nennen, wirkt auch in meinem Nervengebäu-
de Mißton, Widerwärtigkeit: es bringt meine

Sai-

Kritiſche Waͤlder.
zugemiſcht werden: damit es die Hauptempfindung
ja nicht ſchwaͤche, damit der Schauder nicht Un-
wille
werde, wenn ers nicht werden ſoll.

Wo ein Gegenſtand durch das Jngrediens des
Haͤßlichen laͤcherlich werden ſoll; da kann er, ſo
lange er in den Grenzen der Wahrſcheinlichkeit bleibt
und den Kontraſt abwieget, nie zu haͤßlich ſeyn.
Aber das Haͤßliche zum Schrecklichen kann aller-
dings zu ſehr verſtaͤrkt, und als Hauptingrediens
behandelt, das Schreckliche wirklich hindern. Ei-
nen Gegenſtand ganz haͤßlich fuͤhlen, ſo daß die Jdee
des Unwillens, des Ekels, jede andere verdunkelt,
heißt gewiß nicht, ihn ganz fuͤrchterlich empfinden.
Das Gefuͤhl des Schrecklichen iſt Schauder der
Furcht: das Blut tritt zum Herzen zuruͤck: Bloͤße
bedeckt das Geſicht: Kaͤlte laͤuft den Koͤrper her-
ab; bald aber nimmt ſich die Natur zur Selbſt-
vertheidigung zuſammen: das Blut tritt verſtaͤrkt
in ſeinen vorigen Gang: die Wangen roͤthen ſich:
das Feuer breitet ſich wieder aus: die Furcht iſt
vorbei: der Schrecken iſt in Zorn verwandelt.
So erzeugte, gebar und toͤdtete ſich die Em-
pfindung des Schrecklichen. — Aber die Em-
pfindung des Haͤßlichen wie weit anders: der Miß-
ton, die widerwaͤrtige Erſcheinung, die wir haͤß-
lich nennen, wirkt auch in meinem Nervengebaͤu-
de Mißton, Widerwaͤrtigkeit: es bringt meine

Sai-
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0268" n="262"/><fw place="top" type="header"><hi rendition="#b">Kriti&#x017F;che Wa&#x0364;lder.</hi></fw><lb/>
zugemi&#x017F;cht werden: damit es die Hauptempfindung<lb/>
ja nicht &#x017F;chwa&#x0364;che, damit der Schauder nicht <hi rendition="#fr">Un-<lb/>
wille</hi> werde, wenn ers nicht werden &#x017F;oll.</p><lb/>
          <p>Wo ein Gegen&#x017F;tand durch das Jngrediens des<lb/>
Ha&#x0364;ßlichen <hi rendition="#fr">la&#x0364;cherlich</hi> werden &#x017F;oll; da kann er, &#x017F;o<lb/>
lange er in den Grenzen der Wahr&#x017F;cheinlichkeit bleibt<lb/>
und den Kontra&#x017F;t abwieget, nie <hi rendition="#fr">zu ha&#x0364;ßlich</hi> &#x017F;eyn.<lb/>
Aber das Ha&#x0364;ßliche zum Schrecklichen kann aller-<lb/>
dings zu &#x017F;ehr ver&#x017F;ta&#x0364;rkt, und als Hauptingrediens<lb/>
behandelt, das Schreckliche wirklich hindern. Ei-<lb/>
nen Gegen&#x017F;tand ganz ha&#x0364;ßlich fu&#x0364;hlen, &#x017F;o daß die Jdee<lb/>
des Unwillens, des Ekels, jede andere verdunkelt,<lb/>
heißt gewiß nicht, ihn ganz fu&#x0364;rchterlich empfinden.<lb/>
Das Gefu&#x0364;hl des Schrecklichen i&#x017F;t Schauder der<lb/>
Furcht: das Blut tritt zum Herzen zuru&#x0364;ck: Blo&#x0364;ße<lb/>
bedeckt das Ge&#x017F;icht: Ka&#x0364;lte la&#x0364;uft den Ko&#x0364;rper her-<lb/>
ab; bald aber nimmt &#x017F;ich die Natur zur Selb&#x017F;t-<lb/>
vertheidigung zu&#x017F;ammen: das Blut tritt ver&#x017F;ta&#x0364;rkt<lb/>
in &#x017F;einen vorigen Gang: die Wangen ro&#x0364;then &#x017F;ich:<lb/>
das Feuer breitet &#x017F;ich wieder aus: die Furcht i&#x017F;t<lb/>
vorbei: der Schrecken i&#x017F;t in Zorn verwandelt.<lb/>
So erzeugte, gebar und to&#x0364;dtete &#x017F;ich die Em-<lb/>
pfindung des Schrecklichen. &#x2014; Aber die Em-<lb/>
pfindung des Ha&#x0364;ßlichen wie weit anders: der Miß-<lb/>
ton, die widerwa&#x0364;rtige Er&#x017F;cheinung, die wir ha&#x0364;ß-<lb/>
lich nennen, wirkt auch in meinem Nervengeba&#x0364;u-<lb/>
de Mißton, Widerwa&#x0364;rtigkeit: es bringt meine<lb/>
<fw place="bottom" type="catch">Sai-</fw><lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[262/0268] Kritiſche Waͤlder. zugemiſcht werden: damit es die Hauptempfindung ja nicht ſchwaͤche, damit der Schauder nicht Un- wille werde, wenn ers nicht werden ſoll. Wo ein Gegenſtand durch das Jngrediens des Haͤßlichen laͤcherlich werden ſoll; da kann er, ſo lange er in den Grenzen der Wahrſcheinlichkeit bleibt und den Kontraſt abwieget, nie zu haͤßlich ſeyn. Aber das Haͤßliche zum Schrecklichen kann aller- dings zu ſehr verſtaͤrkt, und als Hauptingrediens behandelt, das Schreckliche wirklich hindern. Ei- nen Gegenſtand ganz haͤßlich fuͤhlen, ſo daß die Jdee des Unwillens, des Ekels, jede andere verdunkelt, heißt gewiß nicht, ihn ganz fuͤrchterlich empfinden. Das Gefuͤhl des Schrecklichen iſt Schauder der Furcht: das Blut tritt zum Herzen zuruͤck: Bloͤße bedeckt das Geſicht: Kaͤlte laͤuft den Koͤrper her- ab; bald aber nimmt ſich die Natur zur Selbſt- vertheidigung zuſammen: das Blut tritt verſtaͤrkt in ſeinen vorigen Gang: die Wangen roͤthen ſich: das Feuer breitet ſich wieder aus: die Furcht iſt vorbei: der Schrecken iſt in Zorn verwandelt. So erzeugte, gebar und toͤdtete ſich die Em- pfindung des Schrecklichen. — Aber die Em- pfindung des Haͤßlichen wie weit anders: der Miß- ton, die widerwaͤrtige Erſcheinung, die wir haͤß- lich nennen, wirkt auch in meinem Nervengebaͤu- de Mißton, Widerwaͤrtigkeit: es bringt meine Sai-

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/herder_kritische01_1769
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/herder_kritische01_1769/268
Zitationshilfe: [Herder, Johann Gottfried von]: Kritische Wälder. Bd. 1. [Riga], 1769, S. 262. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/herder_kritische01_1769/268>, abgerufen am 04.12.2024.