[Herder, Johann Gottfried von]: Kritische Wälder. Bd. 1. [Riga], 1769.Erstes Wäldchen. der leidenden Natur ihr Recht zu geben? und wel-che leidende Natur ist ein Ritz der blendenden Haut? -- Eben so wenig schreiet der eherne Mars a) aus einer andern Ursache, als eben -- weil er der eherne, der eisenfressende Mars ist, der im Getüm- mel der Feldschlacht raset, und eben so wild bey der Verwundung aufschreiet. Nichts ist ungezweifel- ter, als dieß, wenn wir Homer sagen lassen, was er sagt; denn wäre es ihm auch nur je eingefallen, das Schreien, als "einen natürlichen Ausdruck des "körperlichen Schmerzes" und nicht mit höhern Absichten zu gebrauchen, so wäre der Ausdruck: "Er ward verwundet und schrie!" ihm so geläu- fig, als der "er fiel, und schwarze Nacht bedeckte "seine Augen." So weit sind wir also, daß Homer "das Prä- Em- a) Iliad. E. v. 859. b) Laok. pag 5. B 5
Erſtes Waͤldchen. der leidenden Natur ihr Recht zu geben? und wel-che leidende Natur iſt ein Ritz der blendenden Haut? — Eben ſo wenig ſchreiet der eherne Mars a) aus einer andern Urſache, als eben — weil er der eherne, der eiſenfreſſende Mars iſt, der im Getuͤm- mel der Feldſchlacht raſet, und eben ſo wild bey der Verwundung aufſchreiet. Nichts iſt ungezweifel- ter, als dieß, wenn wir Homer ſagen laſſen, was er ſagt; denn waͤre es ihm auch nur je eingefallen, das Schreien, als „einen natuͤrlichen Ausdruck des „koͤrperlichen Schmerzes„ und nicht mit hoͤhern Abſichten zu gebrauchen, ſo waͤre der Ausdruck: „Er ward verwundet und ſchrie!„ ihm ſo gelaͤu- fig, als der „er fiel, und ſchwarze Nacht bedeckte „ſeine Augen.„ So weit ſind wir alſo, daß Homer „das Praͤ- Em- a) Iliad. Ε. v. 859. b) Laok. pag 5. B 5
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Erſtes Waͤldchen.
der leidenden Natur ihr Recht zu geben? und wel-
che leidende Natur iſt ein Ritz der blendenden Haut?
— Eben ſo wenig ſchreiet der eherne Mars a)
aus einer andern Urſache, als eben — weil er der
eherne, der eiſenfreſſende Mars iſt, der im Getuͤm-
mel der Feldſchlacht raſet, und eben ſo wild bey der
Verwundung aufſchreiet. Nichts iſt ungezweifel-
ter, als dieß, wenn wir Homer ſagen laſſen, was
er ſagt; denn waͤre es ihm auch nur je eingefallen,
das Schreien, als „einen natuͤrlichen Ausdruck des
„koͤrperlichen Schmerzes„ und nicht mit hoͤhern
Abſichten zu gebrauchen, ſo waͤre der Ausdruck:
„Er ward verwundet und ſchrie!„ ihm ſo gelaͤu-
fig, als der „er fiel, und ſchwarze Nacht bedeckte
„ſeine Augen.„
So weit ſind wir alſo, daß Homer „das Praͤ-
„dikat des Schreiens, nicht als einen allgemeinen
„Ausdruck des koͤrperlichen Schmerzes, nicht als
„eine abſolute Bezeichnung, der leidenden Natur
„ihr Recht wiederfahren zu laſſen„ gebrauche; es
muß in dem Charakter eben deſſen, den er ſchreien
laͤßt, eine naͤhere Beſtimmung dazu liegen, daß
eben dieſer ſchreiet und kein andrer. Und da duͤnkt
es mich jetzt unbeſtimmt, von ſeinen Helden allge-
mein zu reden b), was ſie nach ihren Thaten und
Empfindungen ſind; denn keiner derſelben iſt an
Em-
a) Iliad. Ε. v. 859.
b) Laok. pag 5.
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