[Herder, Johann Gottfried von]: Kritische Wälder. Bd. 1. [Riga], 1769.Erstes Wäldchen. 1. Nicht jedes Volk hat für milde Betrübnisse Der König Regner Lodbrog stirbt a): er "Wir a) Mallets Geschichte von Dännem. p. 112. 113. C
Erſtes Waͤldchen. 1. Nicht jedes Volk hat fuͤr milde Betruͤbniſſe Der Koͤnig Regner Lodbrog ſtirbt a): er „Wir a) Mallets Geſchichte von Daͤnnem. p. 112. 113. C
<TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <pb facs="#f0039" n="33"/> <fw place="top" type="header"> <hi rendition="#b">Erſtes Waͤldchen.</hi> </fw><lb/> <p>1. Nicht jedes Volk hat fuͤr milde Betruͤbniſſe<lb/> ein gleich zartes Herz; bei manchem haben ſelbſt<lb/> die Klagen eine rohe Veſtigkeit, ein heldenmaͤßiges<lb/> Brauſen, in welches ſie verſchlungen werden, und<lb/> ein ſolches wird, bei ſonſt großen Dichtern, mit<lb/> der Sprache dieſer weichen Thraͤnen ſehr unbekannt<lb/> ſeyn koͤnnen. So die nordiſchen Skandinavier, die<lb/> auch bei Trauerfaͤllen vom Heroismus geſtaͤlt, kaum<lb/> kurze Seufzer ausſtießen und — ſchwiegen; wenn<lb/> ſie ſangen, ſo war ihr Geſang kaum die milde ele-<lb/> giſche Thraͤne.</p><lb/> <p>Der Koͤnig <hi rendition="#fr">Regner Lodbrog</hi> ſtirbt <note place="foot" n="a)">Mallets Geſchichte von Daͤnnem. <hi rendition="#aq">p.</hi> 112. 113.</note>: er<lb/> ſtirbt unter den entſetzlichſten Schmerzen. Stirbt er<lb/> in Elegien? Laͤßt er der gequaͤlten ſterbenden<lb/> Menſchheit, dem von ſeinen Soͤhnen entfernten<lb/> brechenden Vaterherze ſein Recht wiederfahren? Ei-<lb/> ne einzige weiche Thraͤne haͤtte den Nachfolger<lb/> Odins entweihet. Er ſtirbt im Triumphsliede,<lb/> im Andenken an ſeine Thaten, voll Heldenfreude,<lb/> voll Rache, voll Muth, voll himmliſcher Hoffnung.<lb/> „Wir haben mit Saͤbelſtreichen gefochten, ſo endet<lb/> „ſein Geſang, o wuͤßten meine Soͤhne die Plagen,<lb/> „die ich erdulde; wuͤßten ſie, daß giſtige Nattern<lb/> „mir den Buſen zerfleiſchen — wie heftig wuͤrden<lb/> „ſie ſich nach grauſamen Schlachten ſehnen! Denn<lb/> „die Mutter, die ich ihnen gab, hat ihnen ein maͤnn-<lb/> „liches Herz hinterlaſſen.</p><lb/> <fw place="bottom" type="sig">C</fw> <fw place="bottom" type="catch">„Wir</fw><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [33/0039]
Erſtes Waͤldchen.
1. Nicht jedes Volk hat fuͤr milde Betruͤbniſſe
ein gleich zartes Herz; bei manchem haben ſelbſt
die Klagen eine rohe Veſtigkeit, ein heldenmaͤßiges
Brauſen, in welches ſie verſchlungen werden, und
ein ſolches wird, bei ſonſt großen Dichtern, mit
der Sprache dieſer weichen Thraͤnen ſehr unbekannt
ſeyn koͤnnen. So die nordiſchen Skandinavier, die
auch bei Trauerfaͤllen vom Heroismus geſtaͤlt, kaum
kurze Seufzer ausſtießen und — ſchwiegen; wenn
ſie ſangen, ſo war ihr Geſang kaum die milde ele-
giſche Thraͤne.
Der Koͤnig Regner Lodbrog ſtirbt a): er
ſtirbt unter den entſetzlichſten Schmerzen. Stirbt er
in Elegien? Laͤßt er der gequaͤlten ſterbenden
Menſchheit, dem von ſeinen Soͤhnen entfernten
brechenden Vaterherze ſein Recht wiederfahren? Ei-
ne einzige weiche Thraͤne haͤtte den Nachfolger
Odins entweihet. Er ſtirbt im Triumphsliede,
im Andenken an ſeine Thaten, voll Heldenfreude,
voll Rache, voll Muth, voll himmliſcher Hoffnung.
„Wir haben mit Saͤbelſtreichen gefochten, ſo endet
„ſein Geſang, o wuͤßten meine Soͤhne die Plagen,
„die ich erdulde; wuͤßten ſie, daß giſtige Nattern
„mir den Buſen zerfleiſchen — wie heftig wuͤrden
„ſie ſich nach grauſamen Schlachten ſehnen! Denn
„die Mutter, die ich ihnen gab, hat ihnen ein maͤnn-
„liches Herz hinterlaſſen.
„Wir
a) Mallets Geſchichte von Daͤnnem. p. 112. 113.
C
Suche im WerkInformationen zum Werk
Download dieses Werks
XML (TEI P5) ·
HTML ·
Text Metadaten zum WerkTEI-Header · CMDI · Dublin Core Ansichten dieser Seite
Voyant Tools ?Language Resource Switchboard?FeedbackSie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden. Kommentar zur DTA-AusgabeDieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.
|
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden. Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des § 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
2007–2024 Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften.
Kontakt: redaktion(at)deutschestextarchiv.de. |