Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

[Herder, Johann Gottfried von]: Kritische Wälder. Bd. 1. [Riga], 1769.

Bild:
<< vorherige Seite

Erstes Wäldchen.
doch -- hoher Ernst, schöne Größe; dieß ist seine
bleibende Gestalt, jene geht vorüber.

Venus, wenn sie um den Adonis trauret, raset
bei Moschus fürchterlich: auch Juno kann königlich
zanken, und Apollo tapfer zürnen -- allein ist die-
se Raserei, dieß zänkische Gesicht, dieser Zorn im
Antlitze denn wohl ihre beständige Mine, ihr noth-
wendiger Charakterzug? Nicht! er ist übergehend,
er ist eine vorbeiziehende Wolke: nun soll der Künst-
ler Venus, Apollo, Juno bilden; -- will er nicht
Unsinn, oder Eigensinn beweisen, so wird er die Mi-
ne nehmen, die Venus, Apollo, Juno eigen ist: in
der sie sich zeigen würden, wenn sie ihm zur Bil-
dung erschienen, und dieß ist -- eine Gestalt der
Schönheit.

Doch immer aber gab es ja auch im mythi-
schen Zirkel der Griechen Figuren, denen die Häß-
lichkeit ein Charakterzug war: z. E. Medusenköpfe,
Bacchanten, Giganten, Silenen, Furien u. s. w.
Medusa gehe voraus, denn Pallas trägt sie auf ih-
rem mächtigen Schilde. Meduse, ist sie eine Ge-
stalt, die nothwendig häßlich gebildet werden muß,
von der man nur eine Gestalt wüßte, die im höch-
sten Grade fürchterliche? Die so viel über die himm-
lische Bildung der Meduse, als von einem Jch
weiß nicht, warum? und einer Parodoxie reden a),

soll-
a) Klotz Gesch. der Münzen p. 46. 47.
F

Erſtes Waͤldchen.
doch — hoher Ernſt, ſchoͤne Groͤße; dieß iſt ſeine
bleibende Geſtalt, jene geht voruͤber.

Venus, wenn ſie um den Adonis trauret, raſet
bei Moſchus fuͤrchterlich: auch Juno kann koͤniglich
zanken, und Apollo tapfer zuͤrnen — allein iſt die-
ſe Raſerei, dieß zaͤnkiſche Geſicht, dieſer Zorn im
Antlitze denn wohl ihre beſtaͤndige Mine, ihr noth-
wendiger Charakterzug? Nicht! er iſt uͤbergehend,
er iſt eine vorbeiziehende Wolke: nun ſoll der Kuͤnſt-
ler Venus, Apollo, Juno bilden; — will er nicht
Unſinn, oder Eigenſinn beweiſen, ſo wird er die Mi-
ne nehmen, die Venus, Apollo, Juno eigen iſt: in
der ſie ſich zeigen wuͤrden, wenn ſie ihm zur Bil-
dung erſchienen, und dieß iſt — eine Geſtalt der
Schoͤnheit.

Doch immer aber gab es ja auch im mythi-
ſchen Zirkel der Griechen Figuren, denen die Haͤß-
lichkeit ein Charakterzug war: z. E. Meduſenkoͤpfe,
Bacchanten, Giganten, Silenen, Furien u. ſ. w.
Meduſa gehe voraus, denn Pallas traͤgt ſie auf ih-
rem maͤchtigen Schilde. Meduſe, iſt ſie eine Ge-
ſtalt, die nothwendig haͤßlich gebildet werden muß,
von der man nur eine Geſtalt wuͤßte, die im hoͤch-
ſten Grade fuͤrchterliche? Die ſo viel uͤber die himm-
liſche Bildung der Meduſe, als von einem Jch
weiß nicht, warum? und einer Parodoxie reden a),

ſoll-
a) Klotz Geſch. der Muͤnzen p. 46. 47.
F
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0087" n="81"/><fw place="top" type="header"><hi rendition="#b">Er&#x017F;tes Wa&#x0364;ldchen.</hi></fw><lb/>
doch &#x2014; hoher Ern&#x017F;t, &#x017F;cho&#x0364;ne Gro&#x0364;ße; dieß i&#x017F;t &#x017F;eine<lb/>
bleibende Ge&#x017F;talt, jene geht voru&#x0364;ber.</p><lb/>
          <p>Venus, wenn &#x017F;ie um den Adonis trauret, ra&#x017F;et<lb/>
bei Mo&#x017F;chus fu&#x0364;rchterlich: auch Juno kann ko&#x0364;niglich<lb/>
zanken, und Apollo tapfer zu&#x0364;rnen &#x2014; allein i&#x017F;t die-<lb/>
&#x017F;e Ra&#x017F;erei, dieß za&#x0364;nki&#x017F;che Ge&#x017F;icht, die&#x017F;er Zorn im<lb/>
Antlitze denn wohl ihre be&#x017F;ta&#x0364;ndige Mine, ihr noth-<lb/>
wendiger Charakterzug? Nicht! er i&#x017F;t u&#x0364;bergehend,<lb/>
er i&#x017F;t eine vorbeiziehende Wolke: nun &#x017F;oll der Ku&#x0364;n&#x017F;t-<lb/>
ler Venus, Apollo, Juno bilden; &#x2014; will er nicht<lb/>
Un&#x017F;inn, oder Eigen&#x017F;inn bewei&#x017F;en, &#x017F;o wird er die Mi-<lb/>
ne nehmen, die Venus, Apollo, Juno eigen i&#x017F;t: in<lb/>
der &#x017F;ie &#x017F;ich zeigen wu&#x0364;rden, wenn &#x017F;ie ihm zur Bil-<lb/>
dung er&#x017F;chienen, und dieß i&#x017F;t &#x2014; eine Ge&#x017F;talt der<lb/>
Scho&#x0364;nheit.</p><lb/>
          <p>Doch immer aber gab es ja auch im mythi-<lb/>
&#x017F;chen Zirkel der Griechen Figuren, denen die Ha&#x0364;ß-<lb/>
lichkeit ein Charakterzug war: z. E. Medu&#x017F;enko&#x0364;pfe,<lb/>
Bacchanten, Giganten, Silenen, Furien u. &#x017F;. w.<lb/>
Medu&#x017F;a gehe voraus, denn Pallas tra&#x0364;gt &#x017F;ie auf ih-<lb/>
rem ma&#x0364;chtigen Schilde. Medu&#x017F;e, i&#x017F;t &#x017F;ie eine Ge-<lb/>
&#x017F;talt, die nothwendig ha&#x0364;ßlich gebildet werden muß,<lb/>
von der man nur eine Ge&#x017F;talt wu&#x0364;ßte, die im ho&#x0364;ch-<lb/>
&#x017F;ten Grade fu&#x0364;rchterliche? Die &#x017F;o viel u&#x0364;ber die himm-<lb/>
li&#x017F;che Bildung der Medu&#x017F;e, als von einem Jch<lb/>
weiß nicht, warum? und einer Parodoxie reden <note place="foot" n="a)">Klotz Ge&#x017F;ch. der Mu&#x0364;nzen p. 46. 47.</note>,<lb/>
<fw place="bottom" type="sig">F</fw><fw place="bottom" type="catch">&#x017F;oll-</fw><lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[81/0087] Erſtes Waͤldchen. doch — hoher Ernſt, ſchoͤne Groͤße; dieß iſt ſeine bleibende Geſtalt, jene geht voruͤber. Venus, wenn ſie um den Adonis trauret, raſet bei Moſchus fuͤrchterlich: auch Juno kann koͤniglich zanken, und Apollo tapfer zuͤrnen — allein iſt die- ſe Raſerei, dieß zaͤnkiſche Geſicht, dieſer Zorn im Antlitze denn wohl ihre beſtaͤndige Mine, ihr noth- wendiger Charakterzug? Nicht! er iſt uͤbergehend, er iſt eine vorbeiziehende Wolke: nun ſoll der Kuͤnſt- ler Venus, Apollo, Juno bilden; — will er nicht Unſinn, oder Eigenſinn beweiſen, ſo wird er die Mi- ne nehmen, die Venus, Apollo, Juno eigen iſt: in der ſie ſich zeigen wuͤrden, wenn ſie ihm zur Bil- dung erſchienen, und dieß iſt — eine Geſtalt der Schoͤnheit. Doch immer aber gab es ja auch im mythi- ſchen Zirkel der Griechen Figuren, denen die Haͤß- lichkeit ein Charakterzug war: z. E. Meduſenkoͤpfe, Bacchanten, Giganten, Silenen, Furien u. ſ. w. Meduſa gehe voraus, denn Pallas traͤgt ſie auf ih- rem maͤchtigen Schilde. Meduſe, iſt ſie eine Ge- ſtalt, die nothwendig haͤßlich gebildet werden muß, von der man nur eine Geſtalt wuͤßte, die im hoͤch- ſten Grade fuͤrchterliche? Die ſo viel uͤber die himm- liſche Bildung der Meduſe, als von einem Jch weiß nicht, warum? und einer Parodoxie reden a), ſoll- a) Klotz Geſch. der Muͤnzen p. 46. 47. F

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/herder_kritische01_1769
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/herder_kritische01_1769/87
Zitationshilfe: [Herder, Johann Gottfried von]: Kritische Wälder. Bd. 1. [Riga], 1769, S. 81. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/herder_kritische01_1769/87>, abgerufen am 27.11.2024.