Herder, Johann Gottfried von: Kritische Wälder. Bd. 2. Riga, 1769.Zweites Wäldchen. spiele. Vergebens gab ihm die Muse die Gabe desleichten Vortrages, wenn dieser unüberdacht, ohne Plan, Gründe und Ordnung umher schweifet. Keinem prüfenden Leser wird diese leichte Freiheit, "schöne Nachläßigkeit der Alten" dünken; dem Halbkenner aber, und dem läßigen Schüler, der nur auf solche Lehren wartet, wird sie sowohl im Un- terrichte, als Beispiele, verderblich. Hr. Kl. vergleicht das homerische Bild der Zwietracht mit den Gemälden andrer Dichter a). Jch würde nicht vergleichen wollen, wenn ich die andern Dichter nicht gelesen. Das Bild der Zwie- tracht in Ariost, in Tasso, und wo weiß ich mehr? insonderheit das klopstocksche große Bild der Reli- gionszwietracht b) sollte nicht vergessen seyn: denn das letzte übertrifft Homer. Hr. Kl. giebt die Scene von Hektors Tode, und den Klagen über ihn, aus Homer c). Jch weiß nicht, wie ich die Gabe nennen soll. Nicht Uebersetzung, nicht freie Ekphrase: weder lateinische Periodenprose, noch homerische Cadenzen; ein wi- driges, und insonderheit, "in den Bindungen "der Rede," widriges Mittelding, in dem Ho- mer, ohne Stärke und Leben, zerrissen da liegt. Hr. Kl. giebt uns zu diesen menschlich rühren- den Klagen Parallelen, und die bekannte Geschichte des a) p. 188 -- 223. b) Viert. Gesang p. 120. c) p. 224. -- 23[2]. H 4
Zweites Waͤldchen. ſpiele. Vergebens gab ihm die Muſe die Gabe desleichten Vortrages, wenn dieſer unuͤberdacht, ohne Plan, Gruͤnde und Ordnung umher ſchweifet. Keinem pruͤfenden Leſer wird dieſe leichte Freiheit, „ſchoͤne Nachlaͤßigkeit der Alten„ duͤnken; dem Halbkenner aber, und dem laͤßigen Schuͤler, der nur auf ſolche Lehren wartet, wird ſie ſowohl im Un- terrichte, als Beiſpiele, verderblich. Hr. Kl. vergleicht das homeriſche Bild der Zwietracht mit den Gemaͤlden andrer Dichter a). Jch wuͤrde nicht vergleichen wollen, wenn ich die andern Dichter nicht geleſen. Das Bild der Zwie- tracht in Arioſt, in Taſſo, und wo weiß ich mehr? inſonderheit das klopſtockſche große Bild der Reli- gionszwietracht b) ſollte nicht vergeſſen ſeyn: denn das letzte uͤbertrifft Homer. Hr. Kl. giebt die Scene von Hektors Tode, und den Klagen uͤber ihn, aus Homer c). Jch weiß nicht, wie ich die Gabe nennen ſoll. Nicht Ueberſetzung, nicht freie Ekphraſe: weder lateiniſche Periodenproſe, noch homeriſche Cadenzen; ein wi- driges, und inſonderheit, „in den Bindungen „der Rede,„ widriges Mittelding, in dem Ho- mer, ohne Staͤrke und Leben, zerriſſen da liegt. Hr. Kl. giebt uns zu dieſen menſchlich ruͤhren- den Klagen Parallelen, und die bekannte Geſchichte des a) p. 188 — 223. b) Viert. Geſang p. 120. c) p. 224. — 23[2]. H 4
<TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <p><pb facs="#f0125" n="119"/><fw place="top" type="header"><hi rendition="#b">Zweites Waͤldchen.</hi></fw><lb/> ſpiele. Vergebens gab ihm die Muſe die Gabe des<lb/> leichten Vortrages, wenn dieſer unuͤberdacht, ohne<lb/> Plan, Gruͤnde und Ordnung umher ſchweifet.<lb/> Keinem pruͤfenden Leſer wird dieſe leichte Freiheit,<lb/> „ſchoͤne Nachlaͤßigkeit der Alten„ duͤnken; dem<lb/> Halbkenner aber, und dem laͤßigen Schuͤler, der<lb/> nur auf ſolche Lehren wartet, wird ſie ſowohl im Un-<lb/> terrichte, als Beiſpiele, verderblich.</p><lb/> <list> <item>Hr. Kl. vergleicht das homeriſche Bild der<lb/> Zwietracht mit den Gemaͤlden andrer Dichter <note place="foot" n="a)"><hi rendition="#aq">p.</hi> 188 — 223.</note>.<lb/> Jch wuͤrde nicht vergleichen wollen, wenn ich die<lb/> andern Dichter nicht geleſen. Das Bild der Zwie-<lb/> tracht in Arioſt, in Taſſo, und wo weiß ich mehr?<lb/> inſonderheit das klopſtockſche große Bild der Reli-<lb/> gionszwietracht <note place="foot" n="b)">Viert. Geſang <hi rendition="#aq">p.</hi> 120.</note> ſollte nicht vergeſſen ſeyn: denn<lb/> das letzte uͤbertrifft Homer.</item><lb/> <item>Hr. Kl. giebt die Scene von Hektors Tode,<lb/> und den Klagen uͤber ihn, aus Homer <note place="foot" n="c)"><hi rendition="#aq">p.</hi> 224. — 23<supplied>2</supplied>.</note>. Jch<lb/> weiß nicht, wie ich die Gabe nennen ſoll. Nicht<lb/> Ueberſetzung, nicht freie Ekphraſe: weder lateiniſche<lb/> Periodenproſe, noch homeriſche Cadenzen; ein wi-<lb/> driges, und inſonderheit, <hi rendition="#fr">„in den Bindungen<lb/> „der Rede,„</hi> widriges Mittelding, in dem Ho-<lb/> mer, ohne Staͤrke und Leben, zerriſſen da liegt.</item><lb/> <item>Hr. Kl. giebt uns zu dieſen menſchlich ruͤhren-<lb/> den Klagen Parallelen, und die bekannte Geſchichte<lb/> <fw place="bottom" type="sig">H 4</fw><fw place="bottom" type="catch">des</fw><lb/></item> </list> </div> </div> </body> </text> </TEI> [119/0125]
Zweites Waͤldchen.
ſpiele. Vergebens gab ihm die Muſe die Gabe des
leichten Vortrages, wenn dieſer unuͤberdacht, ohne
Plan, Gruͤnde und Ordnung umher ſchweifet.
Keinem pruͤfenden Leſer wird dieſe leichte Freiheit,
„ſchoͤne Nachlaͤßigkeit der Alten„ duͤnken; dem
Halbkenner aber, und dem laͤßigen Schuͤler, der
nur auf ſolche Lehren wartet, wird ſie ſowohl im Un-
terrichte, als Beiſpiele, verderblich.
Hr. Kl. vergleicht das homeriſche Bild der
Zwietracht mit den Gemaͤlden andrer Dichter a).
Jch wuͤrde nicht vergleichen wollen, wenn ich die
andern Dichter nicht geleſen. Das Bild der Zwie-
tracht in Arioſt, in Taſſo, und wo weiß ich mehr?
inſonderheit das klopſtockſche große Bild der Reli-
gionszwietracht b) ſollte nicht vergeſſen ſeyn: denn
das letzte uͤbertrifft Homer.
Hr. Kl. giebt die Scene von Hektors Tode,
und den Klagen uͤber ihn, aus Homer c). Jch
weiß nicht, wie ich die Gabe nennen ſoll. Nicht
Ueberſetzung, nicht freie Ekphraſe: weder lateiniſche
Periodenproſe, noch homeriſche Cadenzen; ein wi-
driges, und inſonderheit, „in den Bindungen
„der Rede,„ widriges Mittelding, in dem Ho-
mer, ohne Staͤrke und Leben, zerriſſen da liegt.
Hr. Kl. giebt uns zu dieſen menſchlich ruͤhren-
den Klagen Parallelen, und die bekannte Geſchichte
des
a) p. 188 — 223.
b) Viert. Geſang p. 120.
c) p. 224. — 232.
H 4
Suche im WerkInformationen zum Werk
Download dieses Werks
XML (TEI P5) ·
HTML ·
Text Metadaten zum WerkTEI-Header · CMDI · Dublin Core Ansichten dieser Seite
Voyant Tools ?Language Resource Switchboard?FeedbackSie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden. Kommentar zur DTA-AusgabeDieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.
|
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden. Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des § 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
2007–2024 Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften.
Kontakt: redaktion(at)deutschestextarchiv.de. |