Herder, Johann Gottfried von: Kritische Wälder. Bd. 2. Riga, 1769.Zweites Wäldchen. haftigkeit, ich sage damit eben nicht, die innereZucht, vorzüglich eine weibliche Tugend seyn sollte, um vielleicht, (doch was geht mich dies Vielleicht an:) so wird man sich in einer bloßen Mannsgesell- schaft eine gewisse Offenheit nicht verübeln, die im- mer Unbescheidenheit hieße, wenn beide Geschlechter in gleichem Maaße ihre Stimme zum Tone des Ganzen geben. Die Gränzen des züchtigen An- standes werden etwas weiter hinaus gerückt, die Schamhaftigkeit wird nicht mehr, als eine wahr- hafte männliche Bescheidung, seyn dörfen, und al- so auch keine Grazie der Weiblichkeit seyn wollen. Das ist der erste Unterschied, der sich eräugen kann. Ein englischer Weltweiser erklärt hierüber, ob sollten; a) Essays and Treatises of several Subjects. Vol. 1.
Eslai XVII. p. 192. Zweites Waͤldchen. haftigkeit, ich ſage damit eben nicht, die innereZucht, vorzuͤglich eine weibliche Tugend ſeyn ſollte, um vielleicht, (doch was geht mich dies Vielleicht an:) ſo wird man ſich in einer bloßen Mannsgeſell- ſchaft eine gewiſſe Offenheit nicht veruͤbeln, die im- mer Unbeſcheidenheit hieße, wenn beide Geſchlechter in gleichem Maaße ihre Stimme zum Tone des Ganzen geben. Die Graͤnzen des zuͤchtigen An- ſtandes werden etwas weiter hinaus geruͤckt, die Schamhaftigkeit wird nicht mehr, als eine wahr- hafte maͤnnliche Beſcheidung, ſeyn doͤrfen, und al- ſo auch keine Grazie der Weiblichkeit ſeyn wollen. Das iſt der erſte Unterſchied, der ſich eraͤugen kann. Ein engliſcher Weltweiſer erklaͤrt hieruͤber, ob ſollten; a) Eſſays and Treatiſes of ſeveral Subjects. Vol. 1.
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Zweites Waͤldchen.
haftigkeit, ich ſage damit eben nicht, die innere
Zucht, vorzuͤglich eine weibliche Tugend ſeyn ſollte,
um vielleicht, (doch was geht mich dies Vielleicht
an:) ſo wird man ſich in einer bloßen Mannsgeſell-
ſchaft eine gewiſſe Offenheit nicht veruͤbeln, die im-
mer Unbeſcheidenheit hieße, wenn beide Geſchlechter
in gleichem Maaße ihre Stimme zum Tone des
Ganzen geben. Die Graͤnzen des zuͤchtigen An-
ſtandes werden etwas weiter hinaus geruͤckt, die
Schamhaftigkeit wird nicht mehr, als eine wahr-
hafte maͤnnliche Beſcheidung, ſeyn doͤrfen, und al-
ſo auch keine Grazie der Weiblichkeit ſeyn wollen.
Das iſt der erſte Unterſchied, der ſich eraͤugen kann.
Ein engliſcher Weltweiſer erklaͤrt hieruͤber, ob
er gleich eigentlich nur von der eigentlich geſellſchaft-
lichen, buͤrgerlichen Schaam redet, meine Gedan-
ken: „Unter den Alten, ſagt Hume a), ward der
„Charakter des ſchoͤnen Geſchlechts fuͤr durchhin
„haͤuslich gehalten: ſie wurden nicht, als ein Theil
„der politen Welt, oder der guten Geſellſchaft, ge-
„halten. Dies vielleicht iſt die wahre Urſache, war-
„um die Alten uns kein einziges Stuͤck der Plai-
„ſanterie hinterlaſſen, das vortrefflich waͤre u. ſ. w.„
Jch nehme hier ſeine Worte noch allgemeiner, als
daß ſie fuͤr, oder gegen die Galanterie entſcheiden
ſollten;
a) Eſſays and Treatiſes of ſeveral Subjects. Vol. 1.
Eſlai XVII. p. 192.
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