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Herder, Johann Gottfried von: Kritische Wälder. Bd. 2. Riga, 1769.

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Zweites Wäldchen.
und diese gute Sache also -- bewundre, wer will;
ich überschlage sie.

Der einzige Fall, wo ein solcher philosophischer
Parallelenkram noch einiger maßen leidlich wird,
ist -- nun was anders, als ein Streit über ein
Wort; Schade aber, daß Harduin hier meistens
unter der Critik ist. Sein Geschrei: das ist nicht
Latein! das ist Unpoetisch; verräth oft grobe Un-
wissenheit, oft noch gröbere Kühnheit, die Sprache
der Römer zweitausend Jahre zurück kennen, und
die neologische Sprache eines Horaz zweitausend
Jahre zurück prüfen zu wollen. Wie wenig Glau-
ben weiß sich Harduin von dieser Seite auch nur
bei einem Halbkenner der lateinischen Sprache zu
verschaffen, und wie summarisch war gegen einen
solchen Thoren zu verfahren? -- Aber nun! sind
da nicht eine Menge von Hülfsmitteln? unsägliche
Commentatoren über die römischen Schriftsteller,
die nie eine Stelle blos für sich, an ihrem Ort er-
läutern, sondern bei Veranlassung eines Worts, alle
anderweitige mögliche und unmögliche Vorkom-
menheiten desselben beiläufig aufhäufen. Wie? hat
hier nicht die ganze Genealogie lateinischer Wortkri-
tiker und Notenmacher vorgearbeitet? kann hier
nicht ein mäßiger Besuch dieser Wortmärkte, dieser
Sammelpläße fremder Belesenheit Wunder thun?
-- So komme denn, liebe Göttinn gedankenloser
Geduld! komm zu Hülfe! -- Nimm Lexica und

Regi-

Zweites Waͤldchen.
und dieſe gute Sache alſo — bewundre, wer will;
ich uͤberſchlage ſie.

Der einzige Fall, wo ein ſolcher philoſophiſcher
Parallelenkram noch einiger maßen leidlich wird,
iſt — nun was anders, als ein Streit uͤber ein
Wort; Schade aber, daß Harduin hier meiſtens
unter der Critik iſt. Sein Geſchrei: das iſt nicht
Latein! das iſt Unpoetiſch; verraͤth oft grobe Un-
wiſſenheit, oft noch groͤbere Kuͤhnheit, die Sprache
der Roͤmer zweitauſend Jahre zuruͤck kennen, und
die neologiſche Sprache eines Horaz zweitauſend
Jahre zuruͤck pruͤfen zu wollen. Wie wenig Glau-
ben weiß ſich Harduin von dieſer Seite auch nur
bei einem Halbkenner der lateiniſchen Sprache zu
verſchaffen, und wie ſummariſch war gegen einen
ſolchen Thoren zu verfahren? — Aber nun! ſind
da nicht eine Menge von Huͤlfsmitteln? unſaͤgliche
Commentatoren uͤber die roͤmiſchen Schriftſteller,
die nie eine Stelle blos fuͤr ſich, an ihrem Ort er-
laͤutern, ſondern bei Veranlaſſung eines Worts, alle
anderweitige moͤgliche und unmoͤgliche Vorkom-
menheiten deſſelben beilaͤufig aufhaͤufen. Wie? hat
hier nicht die ganze Genealogie lateiniſcher Wortkri-
tiker und Notenmacher vorgearbeitet? kann hier
nicht ein maͤßiger Beſuch dieſer Wortmaͤrkte, dieſer
Sammelplaͤße fremder Beleſenheit Wunder thun?
— So komme denn, liebe Goͤttinn gedankenloſer
Geduld! komm zu Huͤlfe! — Nimm Lexica und

Regi-
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[205/0211] Zweites Waͤldchen. und dieſe gute Sache alſo — bewundre, wer will; ich uͤberſchlage ſie. Der einzige Fall, wo ein ſolcher philoſophiſcher Parallelenkram noch einiger maßen leidlich wird, iſt — nun was anders, als ein Streit uͤber ein Wort; Schade aber, daß Harduin hier meiſtens unter der Critik iſt. Sein Geſchrei: das iſt nicht Latein! das iſt Unpoetiſch; verraͤth oft grobe Un- wiſſenheit, oft noch groͤbere Kuͤhnheit, die Sprache der Roͤmer zweitauſend Jahre zuruͤck kennen, und die neologiſche Sprache eines Horaz zweitauſend Jahre zuruͤck pruͤfen zu wollen. Wie wenig Glau- ben weiß ſich Harduin von dieſer Seite auch nur bei einem Halbkenner der lateiniſchen Sprache zu verſchaffen, und wie ſummariſch war gegen einen ſolchen Thoren zu verfahren? — Aber nun! ſind da nicht eine Menge von Huͤlfsmitteln? unſaͤgliche Commentatoren uͤber die roͤmiſchen Schriftſteller, die nie eine Stelle blos fuͤr ſich, an ihrem Ort er- laͤutern, ſondern bei Veranlaſſung eines Worts, alle anderweitige moͤgliche und unmoͤgliche Vorkom- menheiten deſſelben beilaͤufig aufhaͤufen. Wie? hat hier nicht die ganze Genealogie lateiniſcher Wortkri- tiker und Notenmacher vorgearbeitet? kann hier nicht ein maͤßiger Beſuch dieſer Wortmaͤrkte, dieſer Sammelplaͤße fremder Beleſenheit Wunder thun? — So komme denn, liebe Goͤttinn gedankenloſer Geduld! komm zu Huͤlfe! — Nimm Lexica und Regi-

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Zitationshilfe: Herder, Johann Gottfried von: Kritische Wälder. Bd. 2. Riga, 1769, S. 205. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/herder_kritische02_1769/211>, abgerufen am 23.11.2024.