Citationen vergräbt, bei Harduin Gelegenheit zu commentiren, und beim Commentar wieder Gele- genheit nimmt, auszuschweifen -- welche Verwir- rung! welch ein Chaos von Buche!
Ueberdem ist eine Fechtschule nie der rechte Platz, einen Dichter ruhig zu lesen, mit ganzer Seele zu fühlen, und gleichsam mit neuer Heiterkeit der Seele zu erläutern; die Exegeten des heiligsten Buches haben von dieser Wahrheit zu betrübte Bei- spiele gegeben. Wenn Harduin sagt: dies Wort ist barbarisch, unpoetisch u. s. w. und Hr. Kl. sich wie- der befleißt, die Latinität, die Poesie des Worts zu erhärten: wie leicht ist da die Ausschweifung auf der entgegen gesetzten Seite, Harduin zum Possen mehr Nachdruck darinn zu finden, als darinn liegt, als Horaz hinein legen wollte. Jch bin gewiß, daß, wenn Hr. Klotz, bei künftigen Jahren, wieder feinen Commentar commentirete; er manches zurück ziehen werde, wo er jetzt in einzelnen Worten, als ein guter Coccejaner, zu viel Nachdruck fand. So hat es allemal die jugendliche Einbildungskraft der Ausleger gemacht, daß sie nur gar zu oft, bei ihrem einzelnen Nachdrucke, den Nachdruck, den Ton des Ganzen schwächten: es mochte nun dies Ganze die Bibel, oder ein Poet seyn. Alsdenn folgt gemei- niglich auf den emphatischen Ausleger ein anderer von der weisen Mäßigkeit eines Geßners, wenn er hinter Baxter, oder eines Ernesti, wenn er hinter
Clar-
O
Zweites Waͤldchen.
Citationen vergraͤbt, bei Harduin Gelegenheit zu commentiren, und beim Commentar wieder Gele- genheit nimmt, auszuſchweifen — welche Verwir- rung! welch ein Chaos von Buche!
Ueberdem iſt eine Fechtſchule nie der rechte Platz, einen Dichter ruhig zu leſen, mit ganzer Seele zu fuͤhlen, und gleichſam mit neuer Heiterkeit der Seele zu erlaͤutern; die Exegeten des heiligſten Buches haben von dieſer Wahrheit zu betruͤbte Bei- ſpiele gegeben. Wenn Harduin ſagt: dies Wort iſt barbariſch, unpoetiſch u. ſ. w. und Hr. Kl. ſich wie- der befleißt, die Latinitaͤt, die Poeſie des Worts zu erhaͤrten: wie leicht iſt da die Ausſchweifung auf der entgegen geſetzten Seite, Harduin zum Poſſen mehr Nachdruck darinn zu finden, als darinn liegt, als Horaz hinein legen wollte. Jch bin gewiß, daß, wenn Hr. Klotz, bei kuͤnftigen Jahren, wieder feinen Commentar commentirete; er manches zuruͤck ziehen werde, wo er jetzt in einzelnen Worten, als ein guter Coccejaner, zu viel Nachdruck fand. So hat es allemal die jugendliche Einbildungskraft der Ausleger gemacht, daß ſie nur gar zu oft, bei ihrem einzelnen Nachdrucke, den Nachdruck, den Ton des Ganzen ſchwaͤchten: es mochte nun dies Ganze die Bibel, oder ein Poet ſeyn. Alsdenn folgt gemei- niglich auf den emphatiſchen Ausleger ein anderer von der weiſen Maͤßigkeit eines Geßners, wenn er hinter Baxter, oder eines Erneſti, wenn er hinter
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Zweites Waͤldchen.
Citationen vergraͤbt, bei Harduin Gelegenheit zu
commentiren, und beim Commentar wieder Gele-
genheit nimmt, auszuſchweifen — welche Verwir-
rung! welch ein Chaos von Buche!
Ueberdem iſt eine Fechtſchule nie der rechte
Platz, einen Dichter ruhig zu leſen, mit ganzer
Seele zu fuͤhlen, und gleichſam mit neuer Heiterkeit
der Seele zu erlaͤutern; die Exegeten des heiligſten
Buches haben von dieſer Wahrheit zu betruͤbte Bei-
ſpiele gegeben. Wenn Harduin ſagt: dies Wort
iſt barbariſch, unpoetiſch u. ſ. w. und Hr. Kl. ſich wie-
der befleißt, die Latinitaͤt, die Poeſie des Worts zu
erhaͤrten: wie leicht iſt da die Ausſchweifung auf
der entgegen geſetzten Seite, Harduin zum Poſſen
mehr Nachdruck darinn zu finden, als darinn liegt,
als Horaz hinein legen wollte. Jch bin gewiß,
daß, wenn Hr. Klotz, bei kuͤnftigen Jahren, wieder
feinen Commentar commentirete; er manches zuruͤck
ziehen werde, wo er jetzt in einzelnen Worten, als
ein guter Coccejaner, zu viel Nachdruck fand. So
hat es allemal die jugendliche Einbildungskraft der
Ausleger gemacht, daß ſie nur gar zu oft, bei ihrem
einzelnen Nachdrucke, den Nachdruck, den Ton des
Ganzen ſchwaͤchten: es mochte nun dies Ganze die
Bibel, oder ein Poet ſeyn. Alsdenn folgt gemei-
niglich auf den emphatiſchen Ausleger ein anderer
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Herder, Johann Gottfried von: Kritische Wälder. Bd. 2. Riga, 1769, S. 209. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/herder_kritische02_1769/215>, abgerufen am 19.07.2024.
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