Herder, Johann Gottfried von: Kritische Wälder. Bd. 3. Riga, 1769.Kritische Wälder. oder Ankunft, das Gewühl von Kriegsgeräth-schaft bey einer Belagerung, das lächerliche Freu- denleben bey manchen Jubelfesten, alles Kinder- zeug bey Geburten, und Himmelsanstalten bei dem Hintritt eines Wohl - oder Hochseligen retten oder loben wolle. Wer mag alle unzeitige oder gar lächerliche Münzhistorien lange ansehen? Daß aber überhaupt unsere Münzvorstellungen mehr ins Historische, ins genau bestimmende einschlagen, als die Alten, das, sage ich, ist oft unvermeidlich, oft nöthig, und wenn man erlauben will, auch nützlich. Münzen sind Denkmale einer Merkwürdigkeit an die Nachwelt -- was sind sie, wenn sie nicht deutlich, nicht bestimmt reden? und wenn sie über unsre Welt von Denkwürdigkeiten nicht immer nach der Weise der Alten reden können? Jmmer lasset sie sich alsdenn ihre eigne Weise nehmen. Mit allen Vorzügen der Alten hierinn sind nicht viele ihrer Münzen deswegen für uns undeutlich, weil sie zu wenig historisch, zu wenig individuell, zu abstrakt, zu allegorisch sind? Nun stelle man sich nach Jahrhunderten eine dörfen:
Kritiſche Waͤlder. oder Ankunft, das Gewuͤhl von Kriegsgeraͤth-ſchaft bey einer Belagerung, das laͤcherliche Freu- denleben bey manchen Jubelfeſten, alles Kinder- zeug bey Geburten, und Himmelsanſtalten bei dem Hintritt eines Wohl - oder Hochſeligen retten oder loben wolle. Wer mag alle unzeitige oder gar laͤcherliche Muͤnzhiſtorien lange anſehen? Daß aber uͤberhaupt unſere Muͤnzvorſtellungen mehr ins Hiſtoriſche, ins genau beſtimmende einſchlagen, als die Alten, das, ſage ich, iſt oft unvermeidlich, oft noͤthig, und wenn man erlauben will, auch nuͤtzlich. Muͤnzen ſind Denkmale einer Merkwuͤrdigkeit an die Nachwelt — was ſind ſie, wenn ſie nicht deutlich, nicht beſtimmt reden? und wenn ſie uͤber unſre Welt von Denkwuͤrdigkeiten nicht immer nach der Weiſe der Alten reden koͤnnen? Jmmer laſſet ſie ſich alsdenn ihre eigne Weiſe nehmen. Mit allen Vorzuͤgen der Alten hierinn ſind nicht viele ihrer Muͤnzen deswegen fuͤr uns undeutlich, weil ſie zu wenig hiſtoriſch, zu wenig individuell, zu abſtrakt, zu allegoriſch ſind? Nun ſtelle man ſich nach Jahrhunderten eine doͤrfen:
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Kritiſche Waͤlder.
oder Ankunft, das Gewuͤhl von Kriegsgeraͤth-
ſchaft bey einer Belagerung, das laͤcherliche Freu-
denleben bey manchen Jubelfeſten, alles Kinder-
zeug bey Geburten, und Himmelsanſtalten bei
dem Hintritt eines Wohl - oder Hochſeligen retten
oder loben wolle. Wer mag alle unzeitige oder
gar laͤcherliche Muͤnzhiſtorien lange anſehen? Daß
aber uͤberhaupt unſere Muͤnzvorſtellungen mehr ins
Hiſtoriſche, ins genau beſtimmende einſchlagen, als
die Alten, das, ſage ich, iſt oft unvermeidlich, oft
noͤthig, und wenn man erlauben will, auch nuͤtzlich.
Muͤnzen ſind Denkmale einer Merkwuͤrdigkeit an
die Nachwelt — was ſind ſie, wenn ſie nicht
deutlich, nicht beſtimmt reden? und wenn ſie uͤber
unſre Welt von Denkwuͤrdigkeiten nicht immer
nach der Weiſe der Alten reden koͤnnen? Jmmer
laſſet ſie ſich alsdenn ihre eigne Weiſe nehmen.
Mit allen Vorzuͤgen der Alten hierinn ſind nicht
viele ihrer Muͤnzen deswegen fuͤr uns undeutlich,
weil ſie zu wenig hiſtoriſch, zu wenig individuell,
zu abſtrakt, zu allegoriſch ſind?
Nun ſtelle man ſich nach Jahrhunderten eine
Nachkommenſchaft auf unſern Graͤbern vor; eine
gegen uns ſo fremde Nation, als wir gegen Grie-
chen und Roͤmer eine, die mit eben der Begierde
in der Geſchichte von uns forſchen wollte, mit der
wir unter den Alten forſchen — Oder wenn wir
ein ſolches Gericht einer Nation nicht erwarten
doͤrfen:
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