so kann Moser den Geist der Deutschen ma- len, wie er war, und seyn sollte. Alsdenn aber muß auch in dem Geschmack der Er- findung keine fromme Misanthropie, in der Zusammensezzung kein ungesunder Ueberfluß, in der Zeichnung kein schiefer Geschmack herr- schen, der halb Französisch und halb Brittisch ist. Er liefere sein Werk auch der Form nach mit allen Deutschen Vollkommenheiten geschmückt: tiefsinnig, reich, und wahr in der Erfindung; voll Bedeutung in der Zu- sammensezzung, männlich in der Zeichnung, und in der Ausführung vollendet. Jetzo muß der ehrliche Deutsche Leser bei allen Mo- serischen Schriften sämtlich und sonders be- dauren: daß Moses keinen Aaron hat: daß der Minister zu sichtbar diktire, der Welt- weise nicht Zeit gnug, zu verdauen, und der Schriftsteller nicht Muße gnug, selbst zu schrei- ben, und anzuordnen habe. Hätte der Ver- fasser irgend in Deutschland einen andern Amphitruon, der die Macht und Geschick- lichkeit besäße, seine zerstreute Gedanken zu verbinden; und die Wassersüchtige Fülle in einen Körper zu verwandeln, wo volle gesun-
de
K 3
ſo kann Moſer den Geiſt der Deutſchen ma- len, wie er war, und ſeyn ſollte. Alsdenn aber muß auch in dem Geſchmack der Er- findung keine fromme Miſanthropie, in der Zuſammenſezzung kein ungeſunder Ueberfluß, in der Zeichnung kein ſchiefer Geſchmack herr- ſchen, der halb Franzoͤſiſch und halb Brittiſch iſt. Er liefere ſein Werk auch der Form nach mit allen Deutſchen Vollkommenheiten geſchmuͤckt: tiefſinnig, reich, und wahr in der Erfindung; voll Bedeutung in der Zu- ſammenſezzung, maͤnnlich in der Zeichnung, und in der Ausfuͤhrung vollendet. Jetzo muß der ehrliche Deutſche Leſer bei allen Mo- ſeriſchen Schriften ſaͤmtlich und ſonders be- dauren: daß Moſes keinen Aaron hat: daß der Miniſter zu ſichtbar diktire, der Welt- weiſe nicht Zeit gnug, zu verdauen, und der Schriftſteller nicht Muße gnug, ſelbſt zu ſchrei- ben, und anzuordnen habe. Haͤtte der Ver- faſſer irgend in Deutſchland einen andern Amphitruon, der die Macht und Geſchick- lichkeit beſaͤße, ſeine zerſtreute Gedanken zu verbinden; und die Waſſerſuͤchtige Fuͤlle in einen Koͤrper zu verwandeln, wo volle geſun-
de
K 3
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><p><pbfacs="#f0153"n="149"/>ſo kann Moſer den Geiſt der Deutſchen ma-<lb/>
len, wie er war, und ſeyn ſollte. Alsdenn<lb/>
aber muß auch in dem Geſchmack der Er-<lb/>
findung keine fromme Miſanthropie, in der<lb/>
Zuſammenſezzung kein ungeſunder Ueberfluß,<lb/>
in der Zeichnung kein ſchiefer Geſchmack herr-<lb/>ſchen, der halb Franzoͤſiſch und halb Brittiſch<lb/>
iſt. Er liefere ſein Werk auch der Form<lb/>
nach mit allen Deutſchen Vollkommenheiten<lb/>
geſchmuͤckt: tiefſinnig, reich, und wahr in<lb/>
der Erfindung; voll Bedeutung in der Zu-<lb/>ſammenſezzung, maͤnnlich in der Zeichnung,<lb/>
und in der Ausfuͤhrung vollendet. Jetzo<lb/>
muß der ehrliche Deutſche Leſer bei allen Mo-<lb/>ſeriſchen Schriften ſaͤmtlich und ſonders be-<lb/>
dauren: daß Moſes keinen Aaron hat: daß<lb/>
der Miniſter zu <hirendition="#fr">ſichtbar diktire,</hi> der Welt-<lb/>
weiſe nicht Zeit gnug, zu verdauen, und der<lb/>
Schriftſteller nicht Muße gnug, ſelbſt zu ſchrei-<lb/>
ben, und anzuordnen habe. Haͤtte der Ver-<lb/>
faſſer irgend in Deutſchland einen andern<lb/><hirendition="#fr">Amphitruon,</hi> der die Macht und Geſchick-<lb/>
lichkeit beſaͤße, ſeine zerſtreute Gedanken zu<lb/>
verbinden; und die Waſſerſuͤchtige Fuͤlle in<lb/>
einen Koͤrper zu verwandeln, wo volle geſun-<lb/><fwplace="bottom"type="sig">K 3</fw><fwplace="bottom"type="catch">de</fw><lb/></p></div></div></body></text></TEI>
[149/0153]
ſo kann Moſer den Geiſt der Deutſchen ma-
len, wie er war, und ſeyn ſollte. Alsdenn
aber muß auch in dem Geſchmack der Er-
findung keine fromme Miſanthropie, in der
Zuſammenſezzung kein ungeſunder Ueberfluß,
in der Zeichnung kein ſchiefer Geſchmack herr-
ſchen, der halb Franzoͤſiſch und halb Brittiſch
iſt. Er liefere ſein Werk auch der Form
nach mit allen Deutſchen Vollkommenheiten
geſchmuͤckt: tiefſinnig, reich, und wahr in
der Erfindung; voll Bedeutung in der Zu-
ſammenſezzung, maͤnnlich in der Zeichnung,
und in der Ausfuͤhrung vollendet. Jetzo
muß der ehrliche Deutſche Leſer bei allen Mo-
ſeriſchen Schriften ſaͤmtlich und ſonders be-
dauren: daß Moſes keinen Aaron hat: daß
der Miniſter zu ſichtbar diktire, der Welt-
weiſe nicht Zeit gnug, zu verdauen, und der
Schriftſteller nicht Muße gnug, ſelbſt zu ſchrei-
ben, und anzuordnen habe. Haͤtte der Ver-
faſſer irgend in Deutſchland einen andern
Amphitruon, der die Macht und Geſchick-
lichkeit beſaͤße, ſeine zerſtreute Gedanken zu
verbinden; und die Waſſerſuͤchtige Fuͤlle in
einen Koͤrper zu verwandeln, wo volle geſun-
de
K 3
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Herder, Johann Gottfried von: Ueber die neuere Deutsche Litteratur. Bd. 1. Riga, 1767, S. 149. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/herder_litteratur01_1767/153>, abgerufen am 16.02.2025.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
2007–2025 Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften
(Kontakt).
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2025. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.