Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Herder, Johann Gottfried von: Ueber die neuere Deutsche Litteratur. Bd. 1. Riga, 1767.

Bild:
<< vorherige Seite

ward: so auch in der Sprache: man bilde-
te eine Sprache nach der andern, mit der sie
umgieng. Es entstand ein Adel, ein Pöbel
und ein Mittelstand unter den Wörtern, wie
er in der Gesellschaft entstand: die Beiwörter
wurden in der Prose Gleichnisse, die Gleich-
nisse Exempel: statt der Sprache der Leiden-
schaft ward sie eine Sprache des mittlern Wiz-
zes: und endlich des Verstandes. So ist Poesie
und Prose in ihrem Ursprunge unterschieden.

Noch zehn Autoren hätte ich anzuführen,
die diese ganz natürliche Metempsychosis der
Sprachen, überall verfehlt, und nicht gnug
aus ihrem Laude in eine andere Zeit zurück
zu gehen wissen, um von entfernten Altern
und abgelebten Sprachen zu urtheilen. Allein
alles dies gehöret nicht zu meinem Buch: hier
kann ich doch nicht, wie ich selbst weiß, diese
ganze Wahrheit in ihrem völligen Lichte zei-
gen, mit aller Aehnlichkeit zusammenhalten
und gegen die Einwürfe retten, die man uns
unsrer Zeit macht. -- Jch rede also von den
Zeitaltern der Deutschen Sprache, und verspa-
re das übrige auf eine andere Gelegenheit.



4. Wo
C 3

ward: ſo auch in der Sprache: man bilde-
te eine Sprache nach der andern, mit der ſie
umgieng. Es entſtand ein Adel, ein Poͤbel
und ein Mittelſtand unter den Woͤrtern, wie
er in der Geſellſchaft entſtand: die Beiwoͤrter
wurden in der Proſe Gleichniſſe, die Gleich-
niſſe Exempel: ſtatt der Sprache der Leiden-
ſchaft ward ſie eine Sprache des mittlern Wiz-
zes: und endlich des Verſtandes. So iſt Poeſie
und Proſe in ihrem Urſprunge unterſchieden.

Noch zehn Autoren haͤtte ich anzufuͤhren,
die dieſe ganz natuͤrliche Metempſychoſis der
Sprachen, uͤberall verfehlt, und nicht gnug
aus ihrem Laude in eine andere Zeit zuruͤck
zu gehen wiſſen, um von entfernten Altern
und abgelebten Sprachen zu urtheilen. Allein
alles dies gehoͤret nicht zu meinem Buch: hier
kann ich doch nicht, wie ich ſelbſt weiß, dieſe
ganze Wahrheit in ihrem voͤlligen Lichte zei-
gen, mit aller Aehnlichkeit zuſammenhalten
und gegen die Einwuͤrfe retten, die man uns
unſrer Zeit macht. — Jch rede alſo von den
Zeitaltern der Deutſchen Sprache, und verſpa-
re das uͤbrige auf eine andere Gelegenheit.



4. Wo
C 3
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0041" n="37"/>
ward: &#x017F;o auch in der Sprache: man bilde-<lb/>
te eine Sprache nach der andern, mit der &#x017F;ie<lb/>
umgieng. Es ent&#x017F;tand ein Adel, ein Po&#x0364;bel<lb/>
und ein Mittel&#x017F;tand unter den Wo&#x0364;rtern, wie<lb/>
er in der Ge&#x017F;ell&#x017F;chaft ent&#x017F;tand: die Beiwo&#x0364;rter<lb/>
wurden in der Pro&#x017F;e Gleichni&#x017F;&#x017F;e, die Gleich-<lb/>
ni&#x017F;&#x017F;e Exempel: &#x017F;tatt der Sprache der Leiden-<lb/>
&#x017F;chaft ward &#x017F;ie eine Sprache des mittlern Wiz-<lb/>
zes: und endlich des Ver&#x017F;tandes. So i&#x017F;t Poe&#x017F;ie<lb/>
und Pro&#x017F;e in ihrem Ur&#x017F;prunge unter&#x017F;chieden.</p><lb/>
          <p>Noch zehn Autoren ha&#x0364;tte ich anzufu&#x0364;hren,<lb/>
die die&#x017F;e ganz natu&#x0364;rliche Metemp&#x017F;ycho&#x017F;is der<lb/>
Sprachen, u&#x0364;berall verfehlt, und nicht gnug<lb/>
aus ihrem Laude in eine andere Zeit zuru&#x0364;ck<lb/>
zu gehen wi&#x017F;&#x017F;en, um von entfernten Altern<lb/>
und abgelebten Sprachen zu urtheilen. Allein<lb/>
alles dies geho&#x0364;ret nicht zu meinem Buch: hier<lb/>
kann ich doch nicht, wie ich &#x017F;elb&#x017F;t weiß, die&#x017F;e<lb/>
ganze Wahrheit in ihrem vo&#x0364;lligen Lichte zei-<lb/>
gen, mit aller Aehnlichkeit zu&#x017F;ammenhalten<lb/>
und gegen die Einwu&#x0364;rfe retten, die man uns<lb/>
un&#x017F;rer Zeit macht. &#x2014; Jch rede al&#x017F;o von den<lb/>
Zeitaltern der Deut&#x017F;chen Sprache, und ver&#x017F;pa-<lb/>
re das u&#x0364;brige auf eine andere Gelegenheit.</p>
        </div><lb/>
        <milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/>
        <fw place="bottom" type="sig">C 3</fw>
        <fw place="bottom" type="catch">4. Wo</fw><lb/>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[37/0041] ward: ſo auch in der Sprache: man bilde- te eine Sprache nach der andern, mit der ſie umgieng. Es entſtand ein Adel, ein Poͤbel und ein Mittelſtand unter den Woͤrtern, wie er in der Geſellſchaft entſtand: die Beiwoͤrter wurden in der Proſe Gleichniſſe, die Gleich- niſſe Exempel: ſtatt der Sprache der Leiden- ſchaft ward ſie eine Sprache des mittlern Wiz- zes: und endlich des Verſtandes. So iſt Poeſie und Proſe in ihrem Urſprunge unterſchieden. Noch zehn Autoren haͤtte ich anzufuͤhren, die dieſe ganz natuͤrliche Metempſychoſis der Sprachen, uͤberall verfehlt, und nicht gnug aus ihrem Laude in eine andere Zeit zuruͤck zu gehen wiſſen, um von entfernten Altern und abgelebten Sprachen zu urtheilen. Allein alles dies gehoͤret nicht zu meinem Buch: hier kann ich doch nicht, wie ich ſelbſt weiß, dieſe ganze Wahrheit in ihrem voͤlligen Lichte zei- gen, mit aller Aehnlichkeit zuſammenhalten und gegen die Einwuͤrfe retten, die man uns unſrer Zeit macht. — Jch rede alſo von den Zeitaltern der Deutſchen Sprache, und verſpa- re das uͤbrige auf eine andere Gelegenheit. 4. Wo C 3

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/herder_litteratur01_1767
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/herder_litteratur01_1767/41
Zitationshilfe: Herder, Johann Gottfried von: Ueber die neuere Deutsche Litteratur. Bd. 1. Riga, 1767, S. 37. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/herder_litteratur01_1767/41>, abgerufen am 21.11.2024.