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Herder, Johann Gottfried von: Ueber die neuere Deutsche Litteratur. Bd. 1. Riga, 1767.

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kaloi kagathoi unserer bürgerlichen Welt
sich auf nichts minder legen, als Hirtenkännt-
nisse einzuziehen: weil unsre Naturphiloso-
phen unter Büchern wohnen, und wieder zu
Lateinischen Büchern hinkehren Unsre Schä-
ferdichter und Sänger der Natur können al-
so die Blumen dieser Kräuter nicht brechen:
hätte man auch Deutsche Namen: so wären
diese nicht bekannt gnug: sie hätten nicht gnug
Poetische Würde: denn unsre Gedichte wer-
den nicht mehr für Hirten geschrieben; son-
dern für städtische Musen; unsre Sprache ist
zur Büchersprache eingeschränkt. -- Hinge-
gen hat es schon Leibniz bemerkt, daß unsre
Sprache eine Weid- und Bergwerks-
sprache ist; ich glaube aber, zum Theil, ge-
wesen
ist; weil viele dieser Wörter theils
veraltet sind; theils vor Kunst- und Hand-
werkswörter gelten, da unsre Lebensart nicht
mehr Jagd und Bergwerke ist.

Wir bemühen uns also mehr um Hausge-
räth:) Kunstwörter: bürgerliche Ausdrücke:
Redensarten des Umganges sind die häufig-
sten Scheidemünzen im mündlichen und Bü-
chercommerz: die Alten hingegen wechselten

mit

καλοι καγαϑοι unſerer buͤrgerlichen Welt
ſich auf nichts minder legen, als Hirtenkaͤnnt-
niſſe einzuziehen: weil unſre Naturphiloſo-
phen unter Buͤchern wohnen, und wieder zu
Lateiniſchen Buͤchern hinkehren Unſre Schaͤ-
ferdichter und Saͤnger der Natur koͤnnen al-
ſo die Blumen dieſer Kraͤuter nicht brechen:
haͤtte man auch Deutſche Namen: ſo waͤren
dieſe nicht bekannt gnug: ſie haͤtten nicht gnug
Poetiſche Wuͤrde: denn unſre Gedichte wer-
den nicht mehr fuͤr Hirten geſchrieben; ſon-
dern fuͤr ſtaͤdtiſche Muſen; unſre Sprache iſt
zur Buͤcherſprache eingeſchraͤnkt. — Hinge-
gen hat es ſchon Leibniz bemerkt, daß unſre
Sprache eine Weid- und Bergwerks-
ſprache iſt; ich glaube aber, zum Theil, ge-
weſen
iſt; weil viele dieſer Woͤrter theils
veraltet ſind; theils vor Kunſt- und Hand-
werkswoͤrter gelten, da unſre Lebensart nicht
mehr Jagd und Bergwerke iſt.

Wir bemuͤhen uns alſo mehr um Hausge-
raͤth:) Kunſtwoͤrter: buͤrgerliche Ausdruͤcke:
Redensarten des Umganges ſind die haͤufig-
ſten Scheidemuͤnzen im muͤndlichen und Buͤ-
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[54/0058] καλοι καγαϑοι unſerer buͤrgerlichen Welt ſich auf nichts minder legen, als Hirtenkaͤnnt- niſſe einzuziehen: weil unſre Naturphiloſo- phen unter Buͤchern wohnen, und wieder zu Lateiniſchen Buͤchern hinkehren Unſre Schaͤ- ferdichter und Saͤnger der Natur koͤnnen al- ſo die Blumen dieſer Kraͤuter nicht brechen: haͤtte man auch Deutſche Namen: ſo waͤren dieſe nicht bekannt gnug: ſie haͤtten nicht gnug Poetiſche Wuͤrde: denn unſre Gedichte wer- den nicht mehr fuͤr Hirten geſchrieben; ſon- dern fuͤr ſtaͤdtiſche Muſen; unſre Sprache iſt zur Buͤcherſprache eingeſchraͤnkt. — Hinge- gen hat es ſchon Leibniz bemerkt, daß unſre Sprache eine Weid- und Bergwerks- ſprache iſt; ich glaube aber, zum Theil, ge- weſen iſt; weil viele dieſer Woͤrter theils veraltet ſind; theils vor Kunſt- und Hand- werkswoͤrter gelten, da unſre Lebensart nicht mehr Jagd und Bergwerke iſt. Wir bemuͤhen uns alſo mehr um Hausge- raͤth:) Kunſtwoͤrter: buͤrgerliche Ausdruͤcke: Redensarten des Umganges ſind die haͤufig- ſten Scheidemuͤnzen im muͤndlichen und Buͤ- chercommerz: die Alten hingegen wechſelten mit

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Zitationshilfe: Herder, Johann Gottfried von: Ueber die neuere Deutsche Litteratur. Bd. 1. Riga, 1767, S. 54. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/herder_litteratur01_1767/58>, abgerufen am 23.11.2024.