Herder, Johann Gottfried von: Ueber die neuere Deutsche Litteratur. Bd. 1. Riga, 1767.Litteraturbriefe waren im Anfange ein Daher ist auch unsre Zeit um so viel we-
Litteraturbriefe waren im Anfange ein Daher iſt auch unſre Zeit um ſo viel we-
<TEI> <text> <body> <div n="1"> <p><pb facs="#f0008" n="4"/> Litteraturbriefe waren im Anfange ein<lb/> Zeitvertreib eines kranken Officiers, nach-<lb/> her des kranken Publikums, und oft auch<lb/> kranker und ermuͤdeter Verfaſſer, die vom<lb/> Buͤcherleſen muͤde, und aus dem Felde<lb/> des Autorruhms ſiech zuruͤckkamen.</p><lb/> <p>Daher iſt auch unſre Zeit um ſo viel<lb/> reicher an Journaͤlen, als ſie an Original-<lb/> werken arm wird. Der junge Schrift-<lb/> ſteller nimmt alten Richtern das Brot vor<lb/> dem Munde weg, weil er glaubt, urtheilen<lb/> zu koͤnnen, ohne denken zu doͤrfen; Arbei-<lb/> ten ſchaͤzzen zu koͤnnen, ohne ſelbſt ein<lb/> Meiſter zu ſeyn. Der Leſer wiederum<lb/> lieſet Advokatenberichte, um nicht ſelbſt<lb/> richten zu duͤrfen; Auszuͤge und Critiken,<lb/> um keine Buͤcher durchzuſtudiren. Je<lb/> mehr Buͤcher, ſagt Rouſſeau, deſto weni-<lb/> ger Weisheit; je mehr Ehebruch, deſto<lb/> weniger Kinder: je mehr Journaͤle, deſto<lb/> minder wahre Gelehrſamkeit. Man laͤuft<lb/> auf die Maͤrkte, Neuigkeiten zu hoͤren:<lb/> der Kunſtrichter als ein Proſelyt der Ge-<lb/> rechtigkeit; der Leſer als ein Proſelyt des<lb/> Thors; und der wahren Buͤrger ſind ſo<lb/> <fw place="bottom" type="catch">we-</fw><lb/></p> </div> </body> </text> </TEI> [4/0008]
Litteraturbriefe waren im Anfange ein
Zeitvertreib eines kranken Officiers, nach-
her des kranken Publikums, und oft auch
kranker und ermuͤdeter Verfaſſer, die vom
Buͤcherleſen muͤde, und aus dem Felde
des Autorruhms ſiech zuruͤckkamen.
Daher iſt auch unſre Zeit um ſo viel
reicher an Journaͤlen, als ſie an Original-
werken arm wird. Der junge Schrift-
ſteller nimmt alten Richtern das Brot vor
dem Munde weg, weil er glaubt, urtheilen
zu koͤnnen, ohne denken zu doͤrfen; Arbei-
ten ſchaͤzzen zu koͤnnen, ohne ſelbſt ein
Meiſter zu ſeyn. Der Leſer wiederum
lieſet Advokatenberichte, um nicht ſelbſt
richten zu duͤrfen; Auszuͤge und Critiken,
um keine Buͤcher durchzuſtudiren. Je
mehr Buͤcher, ſagt Rouſſeau, deſto weni-
ger Weisheit; je mehr Ehebruch, deſto
weniger Kinder: je mehr Journaͤle, deſto
minder wahre Gelehrſamkeit. Man laͤuft
auf die Maͤrkte, Neuigkeiten zu hoͤren:
der Kunſtrichter als ein Proſelyt der Ge-
rechtigkeit; der Leſer als ein Proſelyt des
Thors; und der wahren Buͤrger ſind ſo
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