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Herder, Johann Gottfried von: Ueber die neuere Deutsche Litteratur. Bd. 2. Riga, 1767.

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Genies in der Stille blos unter dem Angesicht
ihrer Muse die Alten studirt, vielleicht in der
Stille ihnen Werke nachgebildet, die für uns
Griechische Schönheiten enthalten. Viel-
leicht* ist Bodmer unser Homer, Gleim
unser Anakreon, Geßner unser Theokrit,
der Grenadier unser Tyrtäus, Gerstenberg
ein Alciphron, Karschin unsre Sappho,
der Dithyrambensänger unser Pindar! Se-
het da! ein glänzendes Siebengestirn, viel-
leicht vortreflicher, als jenes am Hofe des
Philadelphus.**

Bodmer und Homer! Nein ich wage
es nicht, über zwei so ehrwürdige Greise zu
urtheilen; Noah mag heiliger seyn, er mag
moralischer seyn; ich finde doch nicht Antrieb,
ihn in irgend etwas mit Homer zu vergleichen;
und zum Glück besinne ich mich, daß er älter
sey, als der Zeitpunkt, über den ich schreibe.

Aber Homer und Klopstock! Wo hat
K. ein Homer seyn wollen? Nach seiner
Abhandlung von der heiligen Poesie, scheint

er
* Litt. Br. Th. 1. p. 34.
** Bit[a]ube in seiner Uebers. Home[rs].
T

Genies in der Stille blos unter dem Angeſicht
ihrer Muſe die Alten ſtudirt, vielleicht in der
Stille ihnen Werke nachgebildet, die fuͤr uns
Griechiſche Schoͤnheiten enthalten. Viel-
leicht* iſt Bodmer unſer Homer, Gleim
unſer Anakreon, Geßner unſer Theokrit,
der Grenadier unſer Tyrtaͤus, Gerſtenberg
ein Alciphron, Karſchin unſre Sappho,
der Dithyrambenſaͤnger unſer Pindar! Se-
het da! ein glaͤnzendes Siebengeſtirn, viel-
leicht vortreflicher, als jenes am Hofe des
Philadelphus.**

Bodmer und Homer! Nein ich wage
es nicht, uͤber zwei ſo ehrwuͤrdige Greiſe zu
urtheilen; Noah mag heiliger ſeyn, er mag
moraliſcher ſeyn; ich finde doch nicht Antrieb,
ihn in irgend etwas mit Homer zu vergleichen;
und zum Gluͤck beſinne ich mich, daß er aͤlter
ſey, als der Zeitpunkt, uͤber den ich ſchreibe.

Aber Homer und Klopſtock! Wo hat
K. ein Homer ſeyn wollen? Nach ſeiner
Abhandlung von der heiligen Poeſie, ſcheint

er
* Litt. Br. Th. 1. p. 34.
** Bit[a]ube in ſeiner Ueberſ. Home[rs].
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[277/0109] Genies in der Stille blos unter dem Angeſicht ihrer Muſe die Alten ſtudirt, vielleicht in der Stille ihnen Werke nachgebildet, die fuͤr uns Griechiſche Schoͤnheiten enthalten. Viel- leicht * iſt Bodmer unſer Homer, Gleim unſer Anakreon, Geßner unſer Theokrit, der Grenadier unſer Tyrtaͤus, Gerſtenberg ein Alciphron, Karſchin unſre Sappho, der Dithyrambenſaͤnger unſer Pindar! Se- het da! ein glaͤnzendes Siebengeſtirn, viel- leicht vortreflicher, als jenes am Hofe des Philadelphus. ** Bodmer und Homer! Nein ich wage es nicht, uͤber zwei ſo ehrwuͤrdige Greiſe zu urtheilen; Noah mag heiliger ſeyn, er mag moraliſcher ſeyn; ich finde doch nicht Antrieb, ihn in irgend etwas mit Homer zu vergleichen; und zum Gluͤck beſinne ich mich, daß er aͤlter ſey, als der Zeitpunkt, uͤber den ich ſchreibe. Aber Homer und Klopſtock! Wo hat K. ein Homer ſeyn wollen? Nach ſeiner Abhandlung von der heiligen Poeſie, ſcheint er * Litt. Br. Th. 1. p. 34. ** Bitaube in ſeiner Ueberſ. Homers. T

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Zitationshilfe: Herder, Johann Gottfried von: Ueber die neuere Deutsche Litteratur. Bd. 2. Riga, 1767, S. 277. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/herder_litteratur02_1767/109>, abgerufen am 11.12.2024.