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Herder, Johann Gottfried von: Ueber die neuere Deutsche Litteratur. Bd. 2. Riga, 1767.

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hierüber; man konnte es merken, daß sie
über jedes Feld der Deutschen Litteratur ihre
Aussichten ausbreiten wollten; und da schon
das Cirkelrad von Fehlern beinahe herumge-
trieben war: da Schweizer und Gottschedia-
ner einander möglichst widerstanden, und
gleichsam durch ihre gegenseitige Kräfte, die
in einander wirkten, eine gewisse ruhige
Denkart hervorbringen musten: so foderte
es die Zeit, daß Kunstrichter, die beider Par-
theien Ausschweifung sahen, eine mittlere
Schwäche
inne werden musten: und auf
diesen Zeitpunkt trafen die Briefe.

Bloßer Tadel macht kleinmüthig; bestän-
dige Klagen endlich verdrossen, und ewige
Vorschriften matt und gezwungen: kommt
es nun noch dazu, daß der Tadel nicht immer
gründlich, die Klagen wiederholt, und die
Vorschriften zu einschränkend sind: so sieht
man den Schulmeister, der nach der bekannten
Fabel, dem Kinde im Wasser eine Strafpre-
digt hält, den Philosophen dem Hungrigen vor-
predigen: sey nicht hungrig! und den Arzt
dem Kranken zurufen: sey gesund!

Um
O 3

hieruͤber; man konnte es merken, daß ſie
uͤber jedes Feld der Deutſchen Litteratur ihre
Ausſichten ausbreiten wollten; und da ſchon
das Cirkelrad von Fehlern beinahe herumge-
trieben war: da Schweizer und Gottſchedia-
ner einander moͤglichſt widerſtanden, und
gleichſam durch ihre gegenſeitige Kraͤfte, die
in einander wirkten, eine gewiſſe ruhige
Denkart hervorbringen muſten: ſo foderte
es die Zeit, daß Kunſtrichter, die beider Par-
theien Ausſchweifung ſahen, eine mittlere
Schwaͤche
inne werden muſten: und auf
dieſen Zeitpunkt trafen die Briefe.

Bloßer Tadel macht kleinmuͤthig; beſtaͤn-
dige Klagen endlich verdroſſen, und ewige
Vorſchriften matt und gezwungen: kommt
es nun noch dazu, daß der Tadel nicht immer
gruͤndlich, die Klagen wiederholt, und die
Vorſchriften zu einſchraͤnkend ſind: ſo ſieht
man den Schulmeiſter, der nach der bekannten
Fabel, dem Kinde im Waſſer eine Strafpre-
digt haͤlt, den Philoſophen dem Hungrigen vor-
predigen: ſey nicht hungrig! und den Arzt
dem Kranken zurufen: ſey geſund!

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O 3
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[201/0033] hieruͤber; man konnte es merken, daß ſie uͤber jedes Feld der Deutſchen Litteratur ihre Ausſichten ausbreiten wollten; und da ſchon das Cirkelrad von Fehlern beinahe herumge- trieben war: da Schweizer und Gottſchedia- ner einander moͤglichſt widerſtanden, und gleichſam durch ihre gegenſeitige Kraͤfte, die in einander wirkten, eine gewiſſe ruhige Denkart hervorbringen muſten: ſo foderte es die Zeit, daß Kunſtrichter, die beider Par- theien Ausſchweifung ſahen, eine mittlere Schwaͤche inne werden muſten: und auf dieſen Zeitpunkt trafen die Briefe. Bloßer Tadel macht kleinmuͤthig; beſtaͤn- dige Klagen endlich verdroſſen, und ewige Vorſchriften matt und gezwungen: kommt es nun noch dazu, daß der Tadel nicht immer gruͤndlich, die Klagen wiederholt, und die Vorſchriften zu einſchraͤnkend ſind: ſo ſieht man den Schulmeiſter, der nach der bekannten Fabel, dem Kinde im Waſſer eine Strafpre- digt haͤlt, den Philoſophen dem Hungrigen vor- predigen: ſey nicht hungrig! und den Arzt dem Kranken zurufen: ſey geſund! Um O 3

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Zitationshilfe: Herder, Johann Gottfried von: Ueber die neuere Deutsche Litteratur. Bd. 2. Riga, 1767, S. 201. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/herder_litteratur02_1767/33>, abgerufen am 21.11.2024.