Herder, Johann Gottfried von: Ueber die neuere Deutsche Litteratur. Bd. 2. Riga, 1767.Meinungen des Volks, über gewisse ihnen un- Zeiten
Meinungen des Volks, uͤber gewiſſe ihnen un- Zeiten
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Meinungen des Volks, uͤber gewiſſe ihnen un-
erklaͤrliche Dinge: Fabeln, die ſie ſogleich mit
dem Stammlen der Sprache von ihren Er-
ziehern lernen, die ſich alſo aus den aͤlteſten
Zeiten von den Stammvaͤtern herunter erben:
die ſich bei einem ſinnlichen Volk, das ſich
ſtatt der Weisheit und Wiſſenſchaften, mit
dem Hirtenleben, dem Ackerbau, und den Kuͤn-
ſten abgiebt, ſehr lange Zeit erhalten koͤnnen,
und dem Dichter alſo vielen Stoff darreichen,
zu Erdichtungen, die das Herz des ſinnlichen
Volks ſinnlich ruͤhren koͤnnen. Er weckt das
auf, was in ihnen ſchlaͤft, er greift ihre Seele
bei der ſchwaͤchſten Seite an, und erinnert ſie
an ihre Begriffe der Erziehung, mit denen ſich
ihre Einbildungskraft gleichſam zuſammen ge-
formt hat: an die Traditionen ihrer Vaͤter,
die alſo auch ihre Lieblingsvorurtheile gewor-
den ſind, weil ſie ſich nach dem Naturell ih-
res Denkens, ihres Clima und ihrer Sprache
richten. Daraus entſtehet alsdenn fuͤr die
Dichter eine heilige Mythologie: die Na-
tional iſt, und ihnen jederzeit eine Zauberquel-
le war, um Fiktionen zu ſchoͤpfen, und Bil-
der zu erheben, in die ſie, die zu den erſten
Zeiten
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