Die zweiten, die durch die Stellung der My- thologie sich als Artisten zeigen wollen, brin- gen mir den Maler des Horaz in den Sinn, der allen Fleiß auf Rägel und Zähen wandte:
Ponere totum nescius.
Sobald nun die Mythologie blos poeti- sches Werkzeug wird: so muß man nicht durchgängig in einer mythologischen Spra- che reden, gleich als wenn unsre Denkart mit ihr umkraiset wäre: sonst verirret man sich in Anspielungen, und Orakelsprüche aus den Alten.
Man muß die Mythologie von der Sei- te ansehen, auf die jedes gesunde Auge na- türlich und zuerst fällt. Viele lesen die Al- ten, aber weiß Gott! wozu? denn was sie daraus behalten und anwenden, das bemerkt sich kein ander ehrlicher Mann. Von die- sem Alten führen sie so einen unbedeutenden Nebenzug aus seinem Gemälde an, daß da sie ihn für den Leser unbestimmt lassen, sie auch die Ehre haben, ihre Anwendung allein zu verstehen. Diese Anmerkung erstreckt sich auch auf die alte Geschichte, wo manche kei- ne Kleinigkeit wollen umsonst gelesen haben.
So
K 3
Die zweiten, die durch die Stellung der My- thologie ſich als Artiſten zeigen wollen, brin- gen mir den Maler des Horaz in den Sinn, der allen Fleiß auf Raͤgel und Zaͤhen wandte:
Ponere totum neſcius.
Sobald nun die Mythologie blos poeti- ſches Werkzeug wird: ſo muß man nicht durchgaͤngig in einer mythologiſchen Spra- che reden, gleich als wenn unſre Denkart mit ihr umkraiſet waͤre: ſonſt verirret man ſich in Anſpielungen, und Orakelſpruͤche aus den Alten.
Man muß die Mythologie von der Sei- te anſehen, auf die jedes geſunde Auge na- tuͤrlich und zuerſt faͤllt. Viele leſen die Al- ten, aber weiß Gott! wozu? denn was ſie daraus behalten und anwenden, das bemerkt ſich kein ander ehrlicher Mann. Von die- ſem Alten fuͤhren ſie ſo einen unbedeutenden Nebenzug aus ſeinem Gemaͤlde an, daß da ſie ihn fuͤr den Leſer unbeſtimmt laſſen, ſie auch die Ehre haben, ihre Anwendung allein zu verſtehen. Dieſe Anmerkung erſtreckt ſich auch auf die alte Geſchichte, wo manche kei- ne Kleinigkeit wollen umſonſt geleſen haben.
So
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Die zweiten, die durch die Stellung der My-
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gen mir den Maler des Horaz in den Sinn,
der allen Fleiß auf Raͤgel und Zaͤhen wandte:
Ponere totum neſcius.
Sobald nun die Mythologie blos poeti-
ſches Werkzeug wird: ſo muß man nicht
durchgaͤngig in einer mythologiſchen Spra-
che reden, gleich als wenn unſre Denkart mit
ihr umkraiſet waͤre: ſonſt verirret man ſich
in Anſpielungen, und Orakelſpruͤche aus den
Alten.
Man muß die Mythologie von der Sei-
te anſehen, auf die jedes geſunde Auge na-
tuͤrlich und zuerſt faͤllt. Viele leſen die Al-
ten, aber weiß Gott! wozu? denn was ſie
daraus behalten und anwenden, das bemerkt
ſich kein ander ehrlicher Mann. Von die-
ſem Alten fuͤhren ſie ſo einen unbedeutenden
Nebenzug aus ſeinem Gemaͤlde an, daß da ſie
ihn fuͤr den Leſer unbeſtimmt laſſen, ſie auch
die Ehre haben, ihre Anwendung allein zu
verſtehen. Dieſe Anmerkung erſtreckt ſich
auch auf die alte Geſchichte, wo manche kei-
ne Kleinigkeit wollen umſonſt geleſen haben.
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Herder, Johann Gottfried von: Ueber die neuere Deutsche Litteratur. Bd. 3. Riga, 1767, S. 149. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/herder_litteratur03_1767/157>, abgerufen am 21.11.2024.
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