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Herder, Johann Gottfried von: Ueber die neuere Deutsche Litteratur. Bd. 3. Riga, 1767.

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keinen Eintrag zu thun. Was Leßing mit
dem Anfange des Meßias versuchte, probire
man mit Rammlers Ode an den Arzt, an
die Kugel u. s. w.

Was ist nun von dieser horazischen Nach-
bildung zu urtheilen? Es ist nicht zu ver-
muthen, daß Rammler blos horazische Vor-
fälle wähle, um horazisch singen zu können;
wenn wir ihn blos in diesem Gesichtspunkt
betrachten: so dörften die besten horazischen
Oden nicht alle von ihm nachgebildet seyn,
und erreicht? -- vielleicht keine. Alsdenn
ist er Geschmack- und Kunstvoller Nachahmer.
Aber er ist mehr, -- und hat es bewiesen, daß
er ohne horazische Plane und Bilder horazisch
singen könne, und dies erhebt ihn in meinen
Augen zum Dichter, jenes zeigt ihn als einen
feinen Kenner des Alterthums, und einen
Artisten von Geschmack.

Vielleicht hat Rammler den Grundsatz
mit einem andern großen Genie gemein: daß
Horaz alle Muster aller Oden geliefert, und
so zu sagen, jede Schönheit derselben er-
schöpft: vielleicht sind die ersten Eindrücke
von den Poesien des Römers bei ihm so mäch-

tig,

keinen Eintrag zu thun. Was Leßing mit
dem Anfange des Meßias verſuchte, probire
man mit Rammlers Ode an den Arzt, an
die Kugel u. ſ. w.

Was iſt nun von dieſer horaziſchen Nach-
bildung zu urtheilen? Es iſt nicht zu ver-
muthen, daß Rammler blos horaziſche Vor-
faͤlle waͤhle, um horaziſch ſingen zu koͤnnen;
wenn wir ihn blos in dieſem Geſichtspunkt
betrachten: ſo doͤrften die beſten horaziſchen
Oden nicht alle von ihm nachgebildet ſeyn,
und erreicht? — vielleicht keine. Alsdenn
iſt er Geſchmack- und Kunſtvoller Nachahmer.
Aber er iſt mehr, — und hat es bewieſen, daß
er ohne horaziſche Plane und Bilder horaziſch
ſingen koͤnne, und dies erhebt ihn in meinen
Augen zum Dichter, jenes zeigt ihn als einen
feinen Kenner des Alterthums, und einen
Artiſten von Geſchmack.

Vielleicht hat Rammler den Grundſatz
mit einem andern großen Genie gemein: daß
Horaz alle Muſter aller Oden geliefert, und
ſo zu ſagen, jede Schoͤnheit derſelben er-
ſchoͤpft: vielleicht ſind die erſten Eindruͤcke
von den Poeſien des Roͤmers bei ihm ſo maͤch-

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[190/0198] keinen Eintrag zu thun. Was Leßing mit dem Anfange des Meßias verſuchte, probire man mit Rammlers Ode an den Arzt, an die Kugel u. ſ. w. Was iſt nun von dieſer horaziſchen Nach- bildung zu urtheilen? Es iſt nicht zu ver- muthen, daß Rammler blos horaziſche Vor- faͤlle waͤhle, um horaziſch ſingen zu koͤnnen; wenn wir ihn blos in dieſem Geſichtspunkt betrachten: ſo doͤrften die beſten horaziſchen Oden nicht alle von ihm nachgebildet ſeyn, und erreicht? — vielleicht keine. Alsdenn iſt er Geſchmack- und Kunſtvoller Nachahmer. Aber er iſt mehr, — und hat es bewieſen, daß er ohne horaziſche Plane und Bilder horaziſch ſingen koͤnne, und dies erhebt ihn in meinen Augen zum Dichter, jenes zeigt ihn als einen feinen Kenner des Alterthums, und einen Artiſten von Geſchmack. Vielleicht hat Rammler den Grundſatz mit einem andern großen Genie gemein: daß Horaz alle Muſter aller Oden geliefert, und ſo zu ſagen, jede Schoͤnheit derſelben er- ſchoͤpft: vielleicht ſind die erſten Eindruͤcke von den Poeſien des Roͤmers bei ihm ſo maͤch- tig,

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Zitationshilfe: Herder, Johann Gottfried von: Ueber die neuere Deutsche Litteratur. Bd. 3. Riga, 1767, S. 190. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/herder_litteratur03_1767/198>, abgerufen am 24.11.2024.