keinen Eintrag zu thun. Was Leßing mit dem Anfange des Meßias versuchte, probire man mit Rammlers Ode an den Arzt, an die Kugel u. s. w.
Was ist nun von dieser horazischen Nach- bildung zu urtheilen? Es ist nicht zu ver- muthen, daß Rammler blos horazische Vor- fälle wähle, um horazisch singen zu können; wenn wir ihn blos in diesem Gesichtspunkt betrachten: so dörften die besten horazischen Oden nicht alle von ihm nachgebildet seyn, und erreicht? -- vielleicht keine. Alsdenn ist er Geschmack- und Kunstvoller Nachahmer. Aber er ist mehr, -- und hat es bewiesen, daß er ohne horazische Plane und Bilder horazisch singen könne, und dies erhebt ihn in meinen Augen zum Dichter, jenes zeigt ihn als einen feinen Kenner des Alterthums, und einen Artisten von Geschmack.
Vielleicht hat Rammler den Grundsatz mit einem andern großen Genie gemein: daß Horaz alle Muster aller Oden geliefert, und so zu sagen, jede Schönheit derselben er- schöpft: vielleicht sind die ersten Eindrücke von den Poesien des Römers bei ihm so mäch-
tig,
keinen Eintrag zu thun. Was Leßing mit dem Anfange des Meßias verſuchte, probire man mit Rammlers Ode an den Arzt, an die Kugel u. ſ. w.
Was iſt nun von dieſer horaziſchen Nach- bildung zu urtheilen? Es iſt nicht zu ver- muthen, daß Rammler blos horaziſche Vor- faͤlle waͤhle, um horaziſch ſingen zu koͤnnen; wenn wir ihn blos in dieſem Geſichtspunkt betrachten: ſo doͤrften die beſten horaziſchen Oden nicht alle von ihm nachgebildet ſeyn, und erreicht? — vielleicht keine. Alsdenn iſt er Geſchmack- und Kunſtvoller Nachahmer. Aber er iſt mehr, — und hat es bewieſen, daß er ohne horaziſche Plane und Bilder horaziſch ſingen koͤnne, und dies erhebt ihn in meinen Augen zum Dichter, jenes zeigt ihn als einen feinen Kenner des Alterthums, und einen Artiſten von Geſchmack.
Vielleicht hat Rammler den Grundſatz mit einem andern großen Genie gemein: daß Horaz alle Muſter aller Oden geliefert, und ſo zu ſagen, jede Schoͤnheit derſelben er- ſchoͤpft: vielleicht ſind die erſten Eindruͤcke von den Poeſien des Roͤmers bei ihm ſo maͤch-
tig,
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><divn="3"><divn="4"><divn="5"><p><pbfacs="#f0198"n="190"/>
keinen Eintrag zu thun. Was <hirendition="#fr">Leßing</hi> mit<lb/>
dem Anfange des <hirendition="#fr">Meßias</hi> verſuchte, probire<lb/>
man mit Rammlers <hirendition="#fr">Ode an den Arzt,</hi> an<lb/>
die <hirendition="#fr">Kugel</hi> u. ſ. w.</p><lb/><p>Was iſt nun von dieſer horaziſchen Nach-<lb/>
bildung zu urtheilen? Es iſt nicht zu ver-<lb/>
muthen, daß <hirendition="#fr">Rammler</hi> blos <hirendition="#fr">horaziſche</hi> Vor-<lb/>
faͤlle waͤhle, um <hirendition="#fr">horaziſch</hi>ſingen zu koͤnnen;<lb/>
wenn wir ihn blos in dieſem Geſichtspunkt<lb/>
betrachten: ſo doͤrften die beſten horaziſchen<lb/>
Oden nicht alle von ihm nachgebildet ſeyn,<lb/>
und erreicht? — vielleicht keine. Alsdenn<lb/>
iſt er Geſchmack- und Kunſtvoller Nachahmer.<lb/>
Aber er iſt mehr, — und hat es bewieſen, daß<lb/>
er ohne horaziſche Plane und Bilder horaziſch<lb/>ſingen koͤnne, und dies erhebt ihn in meinen<lb/>
Augen zum Dichter, jenes zeigt ihn als einen<lb/>
feinen Kenner des Alterthums, und einen<lb/>
Artiſten von Geſchmack.</p><lb/><p>Vielleicht hat <hirendition="#fr">Rammler</hi> den Grundſatz<lb/>
mit einem andern großen Genie gemein: daß<lb/><hirendition="#fr">Horaz alle</hi> Muſter <hirendition="#fr">aller</hi> Oden geliefert, und<lb/>ſo zu ſagen, jede Schoͤnheit derſelben er-<lb/>ſchoͤpft: vielleicht ſind die erſten Eindruͤcke<lb/>
von den Poeſien des Roͤmers bei ihm ſo maͤch-<lb/><fwplace="bottom"type="catch">tig,</fw><lb/></p></div></div></div></div></div></body></text></TEI>
[190/0198]
keinen Eintrag zu thun. Was Leßing mit
dem Anfange des Meßias verſuchte, probire
man mit Rammlers Ode an den Arzt, an
die Kugel u. ſ. w.
Was iſt nun von dieſer horaziſchen Nach-
bildung zu urtheilen? Es iſt nicht zu ver-
muthen, daß Rammler blos horaziſche Vor-
faͤlle waͤhle, um horaziſch ſingen zu koͤnnen;
wenn wir ihn blos in dieſem Geſichtspunkt
betrachten: ſo doͤrften die beſten horaziſchen
Oden nicht alle von ihm nachgebildet ſeyn,
und erreicht? — vielleicht keine. Alsdenn
iſt er Geſchmack- und Kunſtvoller Nachahmer.
Aber er iſt mehr, — und hat es bewieſen, daß
er ohne horaziſche Plane und Bilder horaziſch
ſingen koͤnne, und dies erhebt ihn in meinen
Augen zum Dichter, jenes zeigt ihn als einen
feinen Kenner des Alterthums, und einen
Artiſten von Geſchmack.
Vielleicht hat Rammler den Grundſatz
mit einem andern großen Genie gemein: daß
Horaz alle Muſter aller Oden geliefert, und
ſo zu ſagen, jede Schoͤnheit derſelben er-
ſchoͤpft: vielleicht ſind die erſten Eindruͤcke
von den Poeſien des Roͤmers bei ihm ſo maͤch-
tig,
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Herder, Johann Gottfried von: Ueber die neuere Deutsche Litteratur. Bd. 3. Riga, 1767, S. 190. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/herder_litteratur03_1767/198>, abgerufen am 24.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.