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Herder, Johann Gottfried von: Ueber die neuere Deutsche Litteratur. Bd. 3. Riga, 1767.

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Wäre La Bruyere unter allen Franzo-
sen der einzige,
der den Ausweg eines Ge-
nies gefunden, in der Zeichnung der Charak-
tere? Unter allen Franzosen, die in der
Zeichnung des Lächerlichen auf so viel Schrift-
steller stolz seyn können, von denen jeder eine
eigne Art der Zeichnung hat -- die vielleicht
hierinn, und hierinn allein, Originale vor
den Alten und Neuern sind? -- Und hier
wäre La Bruyere das einzige Genie? Und
das einen Ausweg eben von der Juvenal-
schen
Zeichnungsart gefunden hätte, mit dem
er doch gewiß am wenigsten gemein hat? --
Der Kopf thut mir bei diesen Fragen weh!
Was muß ein Franzose denken, wenn er dies
lieset?

Dörfte nicht die Anmerkung über La Fon-
taine
und Gellert wichtig seyn? Wer zwei-
felt dran, daß ihre Ausschweifungen satyrisch
sind? Und folgt hieraus, daß sie in einer äso-
pischen Fabel etwas mehr als Ausschmü-
ckungen
sind, "dafür sie die einfältige Nach-
ahmerheerde gehalten hat?" Hat denn La
Fontaine
seine lustige Schwatzhaftigkeit für
etwas anders ausgegeben, als für Ausschmü-

ckung?
R 3

Waͤre La Bruyere unter allen Franzo-
ſen der einzige,
der den Ausweg eines Ge-
nies gefunden, in der Zeichnung der Charak-
tere? Unter allen Franzoſen, die in der
Zeichnung des Laͤcherlichen auf ſo viel Schrift-
ſteller ſtolz ſeyn koͤnnen, von denen jeder eine
eigne Art der Zeichnung hat — die vielleicht
hierinn, und hierinn allein, Originale vor
den Alten und Neuern ſind? — Und hier
waͤre La Bruyere das einzige Genie? Und
das einen Ausweg eben von der Juvenal-
ſchen
Zeichnungsart gefunden haͤtte, mit dem
er doch gewiß am wenigſten gemein hat? —
Der Kopf thut mir bei dieſen Fragen weh!
Was muß ein Franzoſe denken, wenn er dies
lieſet?

Doͤrfte nicht die Anmerkung uͤber La Fon-
taine
und Gellert wichtig ſeyn? Wer zwei-
felt dran, daß ihre Ausſchweifungen ſatyriſch
ſind? Und folgt hieraus, daß ſie in einer aͤſo-
piſchen Fabel etwas mehr als Ausſchmuͤ-
ckungen
ſind, „dafuͤr ſie die einfaͤltige Nach-
ahmerheerde gehalten hat?„ Hat denn La
Fontaine
ſeine luſtige Schwatzhaftigkeit fuͤr
etwas anders ausgegeben, als fuͤr Ausſchmuͤ-

ckung?
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[261/0269] Waͤre La Bruyere unter allen Franzo- ſen der einzige, der den Ausweg eines Ge- nies gefunden, in der Zeichnung der Charak- tere? Unter allen Franzoſen, die in der Zeichnung des Laͤcherlichen auf ſo viel Schrift- ſteller ſtolz ſeyn koͤnnen, von denen jeder eine eigne Art der Zeichnung hat — die vielleicht hierinn, und hierinn allein, Originale vor den Alten und Neuern ſind? — Und hier waͤre La Bruyere das einzige Genie? Und das einen Ausweg eben von der Juvenal- ſchen Zeichnungsart gefunden haͤtte, mit dem er doch gewiß am wenigſten gemein hat? — Der Kopf thut mir bei dieſen Fragen weh! Was muß ein Franzoſe denken, wenn er dies lieſet? Doͤrfte nicht die Anmerkung uͤber La Fon- taine und Gellert wichtig ſeyn? Wer zwei- felt dran, daß ihre Ausſchweifungen ſatyriſch ſind? Und folgt hieraus, daß ſie in einer aͤſo- piſchen Fabel etwas mehr als Ausſchmuͤ- ckungen ſind, „dafuͤr ſie die einfaͤltige Nach- ahmerheerde gehalten hat?„ Hat denn La Fontaine ſeine luſtige Schwatzhaftigkeit fuͤr etwas anders ausgegeben, als fuͤr Ausſchmuͤ- ckung? R 3

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Zitationshilfe: Herder, Johann Gottfried von: Ueber die neuere Deutsche Litteratur. Bd. 3. Riga, 1767, S. 261. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/herder_litteratur03_1767/269>, abgerufen am 21.11.2024.