Wäre La Bruyere unter allen Franzo- sen der einzige, der den Ausweg eines Ge- nies gefunden, in der Zeichnung der Charak- tere? Unter allen Franzosen, die in der Zeichnung des Lächerlichen auf so viel Schrift- steller stolz seyn können, von denen jeder eine eigne Art der Zeichnung hat -- die vielleicht hierinn, und hierinn allein, Originale vor den Alten und Neuern sind? -- Und hier wäre La Bruyere das einzige Genie? Und das einen Ausweg eben von der Juvenal- schen Zeichnungsart gefunden hätte, mit dem er doch gewiß am wenigsten gemein hat? -- Der Kopf thut mir bei diesen Fragen weh! Was muß ein Franzose denken, wenn er dies lieset?
Dörfte nicht die Anmerkung über La Fon- taine und Gellert wichtig seyn? Wer zwei- felt dran, daß ihre Ausschweifungen satyrisch sind? Und folgt hieraus, daß sie in einer äso- pischen Fabel etwas mehr als Ausschmü- ckungen sind, "dafür sie die einfältige Nach- ahmerheerde gehalten hat?" Hat denn La Fontaine seine lustige Schwatzhaftigkeit für etwas anders ausgegeben, als für Ausschmü-
ckung?
R 3
Waͤre La Bruyere unter allen Franzo- ſen der einzige, der den Ausweg eines Ge- nies gefunden, in der Zeichnung der Charak- tere? Unter allen Franzoſen, die in der Zeichnung des Laͤcherlichen auf ſo viel Schrift- ſteller ſtolz ſeyn koͤnnen, von denen jeder eine eigne Art der Zeichnung hat — die vielleicht hierinn, und hierinn allein, Originale vor den Alten und Neuern ſind? — Und hier waͤre La Bruyere das einzige Genie? Und das einen Ausweg eben von der Juvenal- ſchen Zeichnungsart gefunden haͤtte, mit dem er doch gewiß am wenigſten gemein hat? — Der Kopf thut mir bei dieſen Fragen weh! Was muß ein Franzoſe denken, wenn er dies lieſet?
Doͤrfte nicht die Anmerkung uͤber La Fon- taine und Gellert wichtig ſeyn? Wer zwei- felt dran, daß ihre Ausſchweifungen ſatyriſch ſind? Und folgt hieraus, daß ſie in einer aͤſo- piſchen Fabel etwas mehr als Ausſchmuͤ- ckungen ſind, „dafuͤr ſie die einfaͤltige Nach- ahmerheerde gehalten hat?„ Hat denn La Fontaine ſeine luſtige Schwatzhaftigkeit fuͤr etwas anders ausgegeben, als fuͤr Ausſchmuͤ-
ckung?
R 3
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><divn="3"><divn="4"><divn="5"><pbfacs="#f0269"n="261"/><p>Waͤre <hirendition="#fr">La Bruyere unter allen Franzo-<lb/>ſen der einzige,</hi> der den Ausweg eines Ge-<lb/>
nies gefunden, in der Zeichnung der Charak-<lb/>
tere? Unter allen Franzoſen, die in der<lb/>
Zeichnung des Laͤcherlichen auf ſo viel Schrift-<lb/>ſteller ſtolz ſeyn koͤnnen, von denen jeder eine<lb/>
eigne Art der Zeichnung hat — die vielleicht<lb/>
hierinn, und hierinn allein, Originale vor<lb/>
den Alten und Neuern ſind? — Und hier<lb/>
waͤre <hirendition="#fr">La Bruyere</hi> das einzige Genie? Und<lb/>
das einen Ausweg eben von der <hirendition="#fr">Juvenal-<lb/>ſchen</hi> Zeichnungsart gefunden haͤtte, mit dem<lb/>
er doch gewiß am wenigſten gemein hat? —<lb/>
Der Kopf thut mir bei dieſen Fragen weh!<lb/>
Was muß ein Franzoſe denken, wenn er dies<lb/>
lieſet?</p><lb/><p>Doͤrfte nicht die Anmerkung uͤber <hirendition="#fr">La Fon-<lb/>
taine</hi> und <hirendition="#fr">Gellert</hi> wichtig ſeyn? Wer zwei-<lb/>
felt dran, daß ihre Ausſchweifungen ſatyriſch<lb/>ſind? Und folgt hieraus, daß ſie in einer aͤſo-<lb/>
piſchen Fabel etwas mehr als <hirendition="#fr">Ausſchmuͤ-<lb/>
ckungen</hi>ſind, „dafuͤr ſie die <hirendition="#fr">einfaͤltige</hi> Nach-<lb/>
ahmerheerde gehalten hat?„ Hat denn <hirendition="#fr">La<lb/>
Fontaine</hi>ſeine <hirendition="#fr">luſtige</hi> Schwatzhaftigkeit fuͤr<lb/>
etwas anders ausgegeben, als fuͤr <hirendition="#fr">Ausſchmuͤ-</hi><lb/><fwplace="bottom"type="sig">R 3</fw><fwplace="bottom"type="catch"><hirendition="#fr">ckung?</hi></fw><lb/></p></div></div></div></div></div></body></text></TEI>
[261/0269]
Waͤre La Bruyere unter allen Franzo-
ſen der einzige, der den Ausweg eines Ge-
nies gefunden, in der Zeichnung der Charak-
tere? Unter allen Franzoſen, die in der
Zeichnung des Laͤcherlichen auf ſo viel Schrift-
ſteller ſtolz ſeyn koͤnnen, von denen jeder eine
eigne Art der Zeichnung hat — die vielleicht
hierinn, und hierinn allein, Originale vor
den Alten und Neuern ſind? — Und hier
waͤre La Bruyere das einzige Genie? Und
das einen Ausweg eben von der Juvenal-
ſchen Zeichnungsart gefunden haͤtte, mit dem
er doch gewiß am wenigſten gemein hat? —
Der Kopf thut mir bei dieſen Fragen weh!
Was muß ein Franzoſe denken, wenn er dies
lieſet?
Doͤrfte nicht die Anmerkung uͤber La Fon-
taine und Gellert wichtig ſeyn? Wer zwei-
felt dran, daß ihre Ausſchweifungen ſatyriſch
ſind? Und folgt hieraus, daß ſie in einer aͤſo-
piſchen Fabel etwas mehr als Ausſchmuͤ-
ckungen ſind, „dafuͤr ſie die einfaͤltige Nach-
ahmerheerde gehalten hat?„ Hat denn La
Fontaine ſeine luſtige Schwatzhaftigkeit fuͤr
etwas anders ausgegeben, als fuͤr Ausſchmuͤ-
ckung?
R 3
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Herder, Johann Gottfried von: Ueber die neuere Deutsche Litteratur. Bd. 3. Riga, 1767, S. 261. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/herder_litteratur03_1767/269>, abgerufen am 21.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.