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Herder, Johann Gottfried von: Ueber die neuere Deutsche Litteratur. Bd. 3. Riga, 1767.

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"mal trennen *." Wo schleppt sich aber
die Sprache mehr, als auf den Kanzeln? --
Hier, wo man das Verständliche des Vor-
trages so oft darinn sezzt, mit einem Schwall
von Worten nichts zu sagen, den Perioden in
seine fürchterliche Glieder zu ordnen, um ei-
nen panischen Schauder einzujagen. Wie
oft hört man einen Gedanken nach diesem Zu-
schnitt: "Wenn wir um uns umherschauen -
"wenn wir -- wenn wir -- weil es -- --
"so werden wir gewahr, daß die Menschen
"Sünder sind:" dies ist die gewöhnliche
homiletische Schlachtordnung, die Binde-
wörter, und Beiwörter, und Hülfswörter
und Synonymen, und periodische Theile in
Ueberfluß hat: um den Mangel an Gedanken
zu verbergen, die das Ohr übertäubet, um
nicht die Leere des Verstandes zu zeigen; dies
ist der fließende Vortrag, der vor dem Essen
heilsamen Appetit, und nach dem Essen einen
sanften Schlaf machet. -- Aber nicht blos
bei diesen seichten Homileten, sondern selbst
bei glücklichen geistlichen Rednern muß man
es oft beklagen, daß ihr Stil gleich von sei-

ner
* Litt. Br. Th. 13. p. 120.

„mal trennen *.„ Wo ſchleppt ſich aber
die Sprache mehr, als auf den Kanzeln? —
Hier, wo man das Verſtaͤndliche des Vor-
trages ſo oft darinn ſezzt, mit einem Schwall
von Worten nichts zu ſagen, den Perioden in
ſeine fuͤrchterliche Glieder zu ordnen, um ei-
nen paniſchen Schauder einzujagen. Wie
oft hoͤrt man einen Gedanken nach dieſem Zu-
ſchnitt: „Wenn wir um uns umherſchauen –
„wenn wir — wenn wir — weil es — —
„ſo werden wir gewahr, daß die Menſchen
„Suͤnder ſind:„ dies iſt die gewoͤhnliche
homiletiſche Schlachtordnung, die Binde-
woͤrter, und Beiwoͤrter, und Huͤlfswoͤrter
und Synonymen, und periodiſche Theile in
Ueberfluß hat: um den Mangel an Gedanken
zu verbergen, die das Ohr uͤbertaͤubet, um
nicht die Leere des Verſtandes zu zeigen; dies
iſt der fließende Vortrag, der vor dem Eſſen
heilſamen Appetit, und nach dem Eſſen einen
ſanften Schlaf machet. — Aber nicht blos
bei dieſen ſeichten Homileten, ſondern ſelbſt
bei gluͤcklichen geiſtlichen Rednern muß man
es oft beklagen, daß ihr Stil gleich von ſei-

ner
* Litt. Br. Th. 13. p. 120.
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[283/0291] „mal trennen *.„ Wo ſchleppt ſich aber die Sprache mehr, als auf den Kanzeln? — Hier, wo man das Verſtaͤndliche des Vor- trages ſo oft darinn ſezzt, mit einem Schwall von Worten nichts zu ſagen, den Perioden in ſeine fuͤrchterliche Glieder zu ordnen, um ei- nen paniſchen Schauder einzujagen. Wie oft hoͤrt man einen Gedanken nach dieſem Zu- ſchnitt: „Wenn wir um uns umherſchauen – „wenn wir — wenn wir — weil es — — „ſo werden wir gewahr, daß die Menſchen „Suͤnder ſind:„ dies iſt die gewoͤhnliche homiletiſche Schlachtordnung, die Binde- woͤrter, und Beiwoͤrter, und Huͤlfswoͤrter und Synonymen, und periodiſche Theile in Ueberfluß hat: um den Mangel an Gedanken zu verbergen, die das Ohr uͤbertaͤubet, um nicht die Leere des Verſtandes zu zeigen; dies iſt der fließende Vortrag, der vor dem Eſſen heilſamen Appetit, und nach dem Eſſen einen ſanften Schlaf machet. — Aber nicht blos bei dieſen ſeichten Homileten, ſondern ſelbſt bei gluͤcklichen geiſtlichen Rednern muß man es oft beklagen, daß ihr Stil gleich von ſei- ner * Litt. Br. Th. 13. p. 120.

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Zitationshilfe: Herder, Johann Gottfried von: Ueber die neuere Deutsche Litteratur. Bd. 3. Riga, 1767, S. 283. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/herder_litteratur03_1767/291>, abgerufen am 21.11.2024.