Schrift vielen Nutzen stiften könnte. -- O eine Schrift, die das ist, was eine Er- bauungs - eine Bildungsschrift für den größten, nutzbarsten und ehrwürdigsten Theil der Menschen, das Volk, seyn soll: -- ge- bet mir, wenn ich Alexander wäre, einen gold- nen Kasten her; ich weiß nichts bessers in demselben zu verwahren! -- Doch nein! ich besinne mich! Ein Schriftsteller der Art wird mich mit dieser Ehre auslachen: er hat ei- nen schönern Ort für sein Buch: den armen Kleiderschrank, und für die Lehren, die sein Buch enthält, das Herz des redlichen Bür- gers, Frauenzimmers oder Landmannes, der ihn theuer hält. Macht mich mit einer Schrift bekannt, die für den Menschen, den Bürger, für seine Denkart und für sein Herz, für seinen Stand und Bedürfniß geschrieben: die das saget, was er immer ge- dacht, und doch nicht gedacht, was er thun wollte und muß, und doch nie gethan, wor- über er Rath und Unterricht will, und wie er ihn will: die ihm in die Seele spricht, in der er sich finde, die ihm seine Worte von der Zunge, seine Einwendungen und Wün-
sche
Schrift vielen Nutzen ſtiften koͤnnte. — O eine Schrift, die das iſt, was eine Er- bauungs - eine Bildungsſchrift fuͤr den groͤßten, nutzbarſten und ehrwuͤrdigſten Theil der Menſchen, das Volk, ſeyn ſoll: — ge- bet mir, wenn ich Alexander waͤre, einen gold- nen Kaſten her; ich weiß nichts beſſers in demſelben zu verwahren! — Doch nein! ich beſinne mich! Ein Schriftſteller der Art wird mich mit dieſer Ehre auslachen: er hat ei- nen ſchoͤnern Ort fuͤr ſein Buch: den armen Kleiderſchrank, und fuͤr die Lehren, die ſein Buch enthaͤlt, das Herz des redlichen Buͤr- gers, Frauenzimmers oder Landmannes, der ihn theuer haͤlt. Macht mich mit einer Schrift bekannt, die fuͤr den Menſchen, den Buͤrger, fuͤr ſeine Denkart und fuͤr ſein Herz, fuͤr ſeinen Stand und Beduͤrfniß geſchrieben: die das ſaget, was er immer ge- dacht, und doch nicht gedacht, was er thun wollte und muß, und doch nie gethan, wor- uͤber er Rath und Unterricht will, und wie er ihn will: die ihm in die Seele ſpricht, in der er ſich finde, die ihm ſeine Worte von der Zunge, ſeine Einwendungen und Wuͤn-
ſche
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><divn="3"><divn="4"><divn="5"><p><pbfacs="#f0069"n="61"/>
Schrift vielen Nutzen ſtiften koͤnnte. —<lb/>
O eine Schrift, <hirendition="#fr">die das iſt,</hi> was eine <hirendition="#fr">Er-<lb/>
bauungs</hi> - eine <hirendition="#fr">Bildungsſchrift</hi> fuͤr den<lb/>
groͤßten, nutzbarſten und ehrwuͤrdigſten Theil<lb/>
der Menſchen, <hirendition="#fr">das Volk,</hi>ſeyn ſoll: — ge-<lb/>
bet mir, wenn ich Alexander waͤre, einen gold-<lb/>
nen Kaſten her; ich weiß nichts beſſers in<lb/>
demſelben zu verwahren! — Doch nein! ich<lb/>
beſinne mich! Ein Schriftſteller der Art wird<lb/>
mich mit dieſer Ehre auslachen: er hat ei-<lb/>
nen ſchoͤnern Ort fuͤr ſein Buch: den armen<lb/>
Kleiderſchrank, und fuͤr die Lehren, die ſein<lb/>
Buch enthaͤlt, das Herz des redlichen Buͤr-<lb/>
gers, Frauenzimmers oder Landmannes, der<lb/>
ihn theuer haͤlt. Macht mich mit einer<lb/>
Schrift bekannt, die <hirendition="#fr">fuͤr den Menſchen,</hi> den<lb/><hirendition="#fr">Buͤrger,</hi> fuͤr ſeine <hirendition="#fr">Denkart</hi> und fuͤr ſein<lb/><hirendition="#fr">Herz,</hi> fuͤr ſeinen <hirendition="#fr">Stand</hi> und <hirendition="#fr">Beduͤrfniß</hi><lb/>
geſchrieben: die das ſaget, was er immer <hirendition="#fr">ge-<lb/>
dacht,</hi> und doch nicht <hirendition="#fr">gedacht,</hi> was er thun<lb/><hirendition="#fr">wollte</hi> und <hirendition="#fr">muß,</hi> und doch <hirendition="#fr">nie gethan,</hi> wor-<lb/>
uͤber <hirendition="#fr">er Rath</hi> und <hirendition="#fr">Unterricht</hi> will, und wie<lb/>
er ihn will: die ihm in <hirendition="#fr">die Seele</hi>ſpricht, in<lb/>
der er <hirendition="#fr">ſich finde,</hi> die ihm ſeine Worte <hirendition="#fr">von<lb/>
der Zunge,</hi>ſeine <hirendition="#fr">Einwendungen</hi> und Wuͤn-<lb/><fwplace="bottom"type="catch">ſche</fw><lb/></p></div></div></div></div></div></body></text></TEI>
[61/0069]
Schrift vielen Nutzen ſtiften koͤnnte. —
O eine Schrift, die das iſt, was eine Er-
bauungs - eine Bildungsſchrift fuͤr den
groͤßten, nutzbarſten und ehrwuͤrdigſten Theil
der Menſchen, das Volk, ſeyn ſoll: — ge-
bet mir, wenn ich Alexander waͤre, einen gold-
nen Kaſten her; ich weiß nichts beſſers in
demſelben zu verwahren! — Doch nein! ich
beſinne mich! Ein Schriftſteller der Art wird
mich mit dieſer Ehre auslachen: er hat ei-
nen ſchoͤnern Ort fuͤr ſein Buch: den armen
Kleiderſchrank, und fuͤr die Lehren, die ſein
Buch enthaͤlt, das Herz des redlichen Buͤr-
gers, Frauenzimmers oder Landmannes, der
ihn theuer haͤlt. Macht mich mit einer
Schrift bekannt, die fuͤr den Menſchen, den
Buͤrger, fuͤr ſeine Denkart und fuͤr ſein
Herz, fuͤr ſeinen Stand und Beduͤrfniß
geſchrieben: die das ſaget, was er immer ge-
dacht, und doch nicht gedacht, was er thun
wollte und muß, und doch nie gethan, wor-
uͤber er Rath und Unterricht will, und wie
er ihn will: die ihm in die Seele ſpricht, in
der er ſich finde, die ihm ſeine Worte von
der Zunge, ſeine Einwendungen und Wuͤn-
ſche
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Herder, Johann Gottfried von: Ueber die neuere Deutsche Litteratur. Bd. 3. Riga, 1767, S. 61. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/herder_litteratur03_1767/69>, abgerufen am 26.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.