naturalisirte Römer sehen, die in der lateini- schen Sprache so gar -- schreiben; Gedichte schreiben und Horazische Oden schreiben: viel- leicht die höchste, schwerste und künstlichste Art des Vortrages. Nun sezze ich würklich ein Genie, von der Größe, als Horaz in seiner Sprache war: es hätte allen innern Reichthum, Fülle, Größe, und Feuer der Gedanken in seinem Lande nach seiner Cultur, nach der eigenthümlichen Wendung seines Geistes: dieser Horaz von einem würdigen Gegenstande aufgefodert, von der Muse ge- salbet, von edlem Feuer durchdrungen, greift nach der Leyer des Venusischen Dichters; er würde Horaz seyn, aber nun singt er in Ho- razens Sprache. Sogleich wird der Gedanke vom Ausdrucke gefesselt; das Bild soll in sei- ner Schönheit erscheinen, und hat Flecken, die den Glanz beschimpfen: es soll reich an Nebenbegriffen seyn, und diese Nebenideen erniedrigen es: es soll groß erscheinen, und wird gezerret, es soll mit einem mal über- raschen, und schlägt uns ins Antlitz: es wird mit Putz überladen, und erscheint klein: Ge- danke und Ausdruck sind wie jene zusammen-
gewach-
naturaliſirte Roͤmer ſehen, die in der lateini- ſchen Sprache ſo gar — ſchreiben; Gedichte ſchreiben und Horaziſche Oden ſchreiben: viel- leicht die hoͤchſte, ſchwerſte und kuͤnſtlichſte Art des Vortrages. Nun ſezze ich wuͤrklich ein Genie, von der Groͤße, als Horaz in ſeiner Sprache war: es haͤtte allen innern Reichthum, Fuͤlle, Groͤße, und Feuer der Gedanken in ſeinem Lande nach ſeiner Cultur, nach der eigenthuͤmlichen Wendung ſeines Geiſtes: dieſer Horaz von einem wuͤrdigen Gegenſtande aufgefodert, von der Muſe ge- ſalbet, von edlem Feuer durchdrungen, greift nach der Leyer des Venuſiſchen Dichters; er wuͤrde Horaz ſeyn, aber nun ſingt er in Ho- razens Sprache. Sogleich wird der Gedanke vom Ausdrucke gefeſſelt; das Bild ſoll in ſei- ner Schoͤnheit erſcheinen, und hat Flecken, die den Glanz beſchimpfen: es ſoll reich an Nebenbegriffen ſeyn, und dieſe Nebenideen erniedrigen es: es ſoll groß erſcheinen, und wird gezerret, es ſoll mit einem mal uͤber- raſchen, und ſchlaͤgt uns ins Antlitz: es wird mit Putz uͤberladen, und erſcheint klein: Ge- danke und Ausdruck ſind wie jene zuſammen-
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naturaliſirte Roͤmer ſehen, die in der lateini-
ſchen Sprache ſo gar — ſchreiben; Gedichte
ſchreiben und Horaziſche Oden ſchreiben: viel-
leicht die hoͤchſte, ſchwerſte und kuͤnſtlichſte
Art des Vortrages. Nun ſezze ich wuͤrklich
ein Genie, von der Groͤße, als Horaz in
ſeiner Sprache war: es haͤtte allen innern
Reichthum, Fuͤlle, Groͤße, und Feuer der
Gedanken in ſeinem Lande nach ſeiner Cultur,
nach der eigenthuͤmlichen Wendung ſeines
Geiſtes: dieſer Horaz von einem wuͤrdigen
Gegenſtande aufgefodert, von der Muſe ge-
ſalbet, von edlem Feuer durchdrungen, greift
nach der Leyer des Venuſiſchen Dichters; er
wuͤrde Horaz ſeyn, aber nun ſingt er in Ho-
razens Sprache. Sogleich wird der Gedanke
vom Ausdrucke gefeſſelt; das Bild ſoll in ſei-
ner Schoͤnheit erſcheinen, und hat Flecken,
die den Glanz beſchimpfen: es ſoll reich an
Nebenbegriffen ſeyn, und dieſe Nebenideen
erniedrigen es: es ſoll groß erſcheinen, und
wird gezerret, es ſoll mit einem mal uͤber-
raſchen, und ſchlaͤgt uns ins Antlitz: es wird
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danke und Ausdruck ſind wie jene zuſammen-
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Herder, Johann Gottfried von: Ueber die neuere Deutsche Litteratur. Bd. 3. Riga, 1767, S. 84. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/herder_litteratur03_1767/92>, abgerufen am 28.11.2024.
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