Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

[Herder, Johann Gottfried von]: Auch eine Philosophie der Geschichte zur Bildung der Menschheit. [Riga], 1774.

Bild:
<< vorherige Seite



"rige Zeiten! da man blos nach Bedürfniß
"und eignem Gefühl etwa handelte: trauri-
"gere Zeiten, da die Macht der Regenten,
"gar noch nicht Schrankenlos, und traurigste
"Zeiten unter allen, da ihre Einkünfte noch
"nicht ganz willkührlich waren -- da -- wie
"wenig gibts für den philosophischen Epo-
"peengeschichtschreiber allgemein zu raisonni-
"ren, oder ins Ganze von Europa hinzuma-
"len! keine Armeen, die vermögend wären,
"ferne Gränzen zu beunruhigen, kein Landes-
"herr, der aus seinem Lande könnte, zu ero-
"bern: also alles nur auf elende Gegenwehr
"und Selbstvertheidigung angelegt: keine
"Politik! kein Blick auf ferne Zeiten und
"Länder, keine Spekulation in den Mond!
"also keine Verbindung der Länder durch diese
"menschenfreundlichen Nächstenblicke -- kurz,
"kein -- und das ist das Wort für den neusten
"höchsten Geschmack! -- kein gesellschaftli-
"ches Leben in Europa. Gottlob! seitdem
"einzelne Kräfte und Glieder des Staats
"abgethan, Adel durch Städte, Städte durch
"freygelaßnes Land, und Adel, Städte und
"freygelaßnes Land durch Völker so glorreich
"gegen- und überwogen, in das Wunderding
"Maschinen hineingelenkt sind, niemand mehr

von



„rige Zeiten! da man blos nach Beduͤrfniß
„und eignem Gefuͤhl etwa handelte: trauri-
gere Zeiten, da die Macht der Regenten,
„gar noch nicht Schrankenlos, und traurigſte
„Zeiten unter allen, da ihre Einkuͤnfte noch
„nicht ganz willkuͤhrlich waren — da — wie
„wenig gibts fuͤr den philoſophiſchen Epo-
peengeſchichtſchreiber allgemein zu raiſonni-
„ren, oder ins Ganze von Europa hinzuma-
len! keine Armeen, die vermoͤgend waͤren,
„ferne Graͤnzen zu beunruhigen, kein Landes-
herr, der aus ſeinem Lande koͤnnte, zu ero-
„bern: alſo alles nur auf elende Gegenwehr
„und Selbſtvertheidigung angelegt: keine
Politik! kein Blick auf ferne Zeiten und
Laͤnder, keine Spekulation in den Mond!
„alſo keine Verbindung der Laͤnder durch dieſe
„menſchenfreundlichen Naͤchſtenblicke — kurz,
„kein — und das iſt das Wort fuͤr den neuſten
„hoͤchſten Geſchmack! — kein geſellſchaftli-
ches Leben in Europa. Gottlob! ſeitdem
einzelne Kraͤfte und Glieder des Staats
„abgethan, Adel durch Staͤdte, Staͤdte durch
„freygelaßnes Land, und Adel, Staͤdte und
„freygelaßnes Land durch Voͤlker ſo glorreich
gegen- und uͤberwogen, in das Wunderding
„Maſchinen hineingelenkt ſind, niemand mehr

von
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0127" n="123"/><fw place="top" type="header"><milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/></fw> &#x201E;rige Zeiten! da man blos nach <hi rendition="#b">Bedu&#x0364;rfniß</hi><lb/>
&#x201E;und <hi rendition="#b">eignem Gefu&#x0364;hl</hi> etwa handelte: <hi rendition="#b">trauri-</hi><lb/>
&#x201E;<hi rendition="#b">gere Zeiten,</hi> da die Macht der Regenten,<lb/>
&#x201E;gar noch nicht Schrankenlos, und traurig&#x017F;te<lb/>
&#x201E;Zeiten unter allen, da ihre Einku&#x0364;nfte noch<lb/>
&#x201E;nicht ganz <hi rendition="#b">willku&#x0364;hrlich</hi> waren &#x2014; da &#x2014; wie<lb/>
&#x201E;wenig gibts fu&#x0364;r den <hi rendition="#b">philo&#x017F;ophi&#x017F;chen Epo-</hi><lb/>
&#x201E;<hi rendition="#b">peenge&#x017F;chicht&#x017F;chreiber</hi> allgemein zu rai&#x017F;onni-<lb/>
&#x201E;ren, oder ins Ganze von Europa <hi rendition="#b">hinzuma-</hi><lb/>
&#x201E;<hi rendition="#b">len!</hi> keine <hi rendition="#b">Armeen,</hi> die vermo&#x0364;gend wa&#x0364;ren,<lb/>
&#x201E;ferne <hi rendition="#b">Gra&#x0364;nzen</hi> zu <hi rendition="#b">beunruhigen,</hi> kein <hi rendition="#b">Landes-</hi><lb/>
&#x201E;<hi rendition="#b">herr,</hi> der aus &#x017F;einem Lande ko&#x0364;nnte, zu ero-<lb/>
&#x201E;bern: al&#x017F;o alles nur auf elende <hi rendition="#b">Gegenwehr</hi><lb/>
&#x201E;und <hi rendition="#b">Selb&#x017F;tvertheidigung</hi> angelegt: keine<lb/>
&#x201E;<hi rendition="#b">Politik!</hi> kein <hi rendition="#b">Blick</hi> auf <hi rendition="#b">ferne Zeiten</hi> und<lb/>
&#x201E;<hi rendition="#b">La&#x0364;nder,</hi> keine <hi rendition="#b">Spekulation</hi> in den <hi rendition="#b">Mond!</hi><lb/>
&#x201E;al&#x017F;o keine Verbindung der La&#x0364;nder durch die&#x017F;e<lb/>
&#x201E;men&#x017F;chenfreundlichen Na&#x0364;ch&#x017F;tenblicke &#x2014; kurz,<lb/>
&#x201E;kein &#x2014; und das i&#x017F;t das Wort fu&#x0364;r den neu&#x017F;ten<lb/>
&#x201E;ho&#x0364;ch&#x017F;ten Ge&#x017F;chmack! &#x2014; kein <hi rendition="#b">ge&#x017F;ell&#x017F;chaftli-</hi><lb/>
&#x201E;<hi rendition="#b">ches Leben in Europa.</hi> Gottlob! &#x017F;eitdem<lb/>
&#x201E;<hi rendition="#b">einzelne Kra&#x0364;fte</hi> und <hi rendition="#b">Glieder des Staats</hi><lb/>
&#x201E;abgethan, Adel <hi rendition="#b">durch</hi> Sta&#x0364;dte, Sta&#x0364;dte durch<lb/>
&#x201E;freygelaßnes Land, und Adel, Sta&#x0364;dte und<lb/>
&#x201E;freygelaßnes Land durch Vo&#x0364;lker &#x017F;o glorreich<lb/>
&#x201E;<hi rendition="#b">gegen</hi>- und <hi rendition="#b">u&#x0364;berwogen,</hi> in das Wunderding<lb/>
&#x201E;Ma&#x017F;chinen hineingelenkt &#x017F;ind, niemand mehr<lb/>
<fw place="bottom" type="catch">von</fw><lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[123/0127] „rige Zeiten! da man blos nach Beduͤrfniß „und eignem Gefuͤhl etwa handelte: trauri- „gere Zeiten, da die Macht der Regenten, „gar noch nicht Schrankenlos, und traurigſte „Zeiten unter allen, da ihre Einkuͤnfte noch „nicht ganz willkuͤhrlich waren — da — wie „wenig gibts fuͤr den philoſophiſchen Epo- „peengeſchichtſchreiber allgemein zu raiſonni- „ren, oder ins Ganze von Europa hinzuma- „len! keine Armeen, die vermoͤgend waͤren, „ferne Graͤnzen zu beunruhigen, kein Landes- „herr, der aus ſeinem Lande koͤnnte, zu ero- „bern: alſo alles nur auf elende Gegenwehr „und Selbſtvertheidigung angelegt: keine „Politik! kein Blick auf ferne Zeiten und „Laͤnder, keine Spekulation in den Mond! „alſo keine Verbindung der Laͤnder durch dieſe „menſchenfreundlichen Naͤchſtenblicke — kurz, „kein — und das iſt das Wort fuͤr den neuſten „hoͤchſten Geſchmack! — kein geſellſchaftli- „ches Leben in Europa. Gottlob! ſeitdem „einzelne Kraͤfte und Glieder des Staats „abgethan, Adel durch Staͤdte, Staͤdte durch „freygelaßnes Land, und Adel, Staͤdte und „freygelaßnes Land durch Voͤlker ſo glorreich „gegen- und uͤberwogen, in das Wunderding „Maſchinen hineingelenkt ſind, niemand mehr von

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/herder_philosophie_1774
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/herder_philosophie_1774/127
Zitationshilfe: [Herder, Johann Gottfried von]: Auch eine Philosophie der Geschichte zur Bildung der Menschheit. [Riga], 1774, S. 123. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/herder_philosophie_1774/127>, abgerufen am 21.11.2024.