[Herder, Johann Gottfried von]: Auch eine Philosophie der Geschichte zur Bildung der Menschheit. [Riga], 1774.sich ihnen natürlich, uns Europäern unbe- greiflich, mit dem Gefühl von Ehrfurcht mi- schet: der wehrlose, zerstreute, ruheliebende, Heerdenähnliche Zustand des Hirtenlebens, das sich auf einer Ebne Gottes milde und ohn Anstrengung ausleben will -- alle das, mehr und weniger von Umständen unterstützt, frey- lich hats in der spätern Folge auch dem Des- potismus der Eroberer volle Materialien ge- liefert, so volle Materialien, daß Despotismus vielleicht ewig in Orient seyn wird, und noch kein Despotismus in Orient durch fremde äußere Kräfte gestürzt worden: er muste nur immer, weil ihm nichts entgegenstand, und er sich unermäßlich ausbreitete, allein durch eigne Last zerfallen. Allerdings hat dieser Despotismus auch oft die schrecklichsten Wür- kungen hervorgebracht, und wie der Philo- soph sagen wird, die schrecklichste von allen, daß kein Morgenländer, als solcher, noch kaum von einer menschlichen, bessern Ver- fassung, innigen Begrif haben kann. -- Aber alle das später dahingestellt, und zuge- geben: Anfangs unter der milden Vaterre- gierung war nicht eben der Morgenländer mit seinem zarten Kindessinne der glücklichste und
ſich ihnen natuͤrlich, uns Europaͤern unbe- greiflich, mit dem Gefuͤhl von Ehrfurcht mi- ſchet: der wehrloſe, zerſtreute, ruheliebende, Heerdenaͤhnliche Zuſtand des Hirtenlebens, das ſich auf einer Ebne Gottes milde und ohn Anſtrengung ausleben will — alle das, mehr und weniger von Umſtaͤnden unterſtuͤtzt, frey- lich hats in der ſpaͤtern Folge auch dem Deſ- potismus der Eroberer volle Materialien ge- liefert, ſo volle Materialien, daß Deſpotismus vielleicht ewig in Orient ſeyn wird, und noch kein Deſpotismus in Orient durch fremde aͤußere Kraͤfte geſtuͤrzt worden: er muſte nur immer, weil ihm nichts entgegenſtand, und er ſich unermaͤßlich ausbreitete, allein durch eigne Laſt zerfallen. Allerdings hat dieſer Deſpotismus auch oft die ſchrecklichſten Wuͤr- kungen hervorgebracht, und wie der Philo- ſoph ſagen wird, die ſchrecklichſte von allen, daß kein Morgenlaͤnder, als ſolcher, noch kaum von einer menſchlichen, beſſern Ver- faſſung, innigen Begrif haben kann. — Aber alle das ſpaͤter dahingeſtellt, und zuge- geben: Anfangs unter der milden Vaterre- gierung war nicht eben der Morgenlaͤnder mit ſeinem zarten Kindesſinne der gluͤcklichſte und
<TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <p><pb facs="#f0018" n="41[14]"/><fw place="top" type="header"><milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/></fw> und ſo dann gleich kindliche <hi rendition="#b">Ergebung,</hi> die<lb/> ſich ihnen natuͤrlich, uns Europaͤern unbe-<lb/> greiflich, mit dem Gefuͤhl von Ehrfurcht mi-<lb/> ſchet: der wehrloſe, zerſtreute, ruheliebende,<lb/><hi rendition="#b">Heerdenaͤhnliche Zuſtand</hi> des Hirtenlebens,<lb/> das ſich auf einer Ebne Gottes milde und ohn<lb/> Anſtrengung ausleben will — alle das, mehr<lb/> und weniger <hi rendition="#b">von Umſtaͤnden unterſtuͤtzt,</hi> frey-<lb/> lich hats in der ſpaͤtern Folge auch dem <hi rendition="#b">Deſ-<lb/> potismus der Eroberer</hi> volle Materialien ge-<lb/> liefert, ſo volle Materialien, daß Deſpotismus<lb/> vielleicht ewig in Orient <hi rendition="#b">ſeyn wird,</hi> und noch<lb/> kein Deſpotismus in Orient durch <hi rendition="#b">fremde<lb/> aͤußere</hi> Kraͤfte geſtuͤrzt worden: er muſte nur<lb/> immer, weil <hi rendition="#b">ihm nichts entgegenſtand,</hi> und<lb/> er ſich <hi rendition="#b">unermaͤßlich ausbreitete,</hi> allein durch<lb/><hi rendition="#b">eigne Laſt zerfallen.</hi> Allerdings hat dieſer<lb/> Deſpotismus auch oft die ſchrecklichſten Wuͤr-<lb/> kungen hervorgebracht, und wie der Philo-<lb/> ſoph ſagen wird, die ſchrecklichſte von allen,<lb/><hi rendition="#b">daß kein Morgenlaͤnder,</hi> als ſolcher, noch<lb/><hi rendition="#b">kaum von einer menſchlichen, beſſern Ver-<lb/> faſſung, innigen Begrif haben</hi> kann. —<lb/> Aber alle das ſpaͤter dahingeſtellt, und zuge-<lb/> geben: Anfangs unter der <hi rendition="#b">milden Vaterre-<lb/> gierung</hi> war nicht eben der Morgenlaͤnder mit<lb/><hi rendition="#b">ſeinem zarten Kindesſinne der gluͤcklichſte</hi><lb/> <fw place="bottom" type="catch">und</fw><lb/></p> </div> </div> </body> </text> </TEI> [41[14]/0018]
und ſo dann gleich kindliche Ergebung, die
ſich ihnen natuͤrlich, uns Europaͤern unbe-
greiflich, mit dem Gefuͤhl von Ehrfurcht mi-
ſchet: der wehrloſe, zerſtreute, ruheliebende,
Heerdenaͤhnliche Zuſtand des Hirtenlebens,
das ſich auf einer Ebne Gottes milde und ohn
Anſtrengung ausleben will — alle das, mehr
und weniger von Umſtaͤnden unterſtuͤtzt, frey-
lich hats in der ſpaͤtern Folge auch dem Deſ-
potismus der Eroberer volle Materialien ge-
liefert, ſo volle Materialien, daß Deſpotismus
vielleicht ewig in Orient ſeyn wird, und noch
kein Deſpotismus in Orient durch fremde
aͤußere Kraͤfte geſtuͤrzt worden: er muſte nur
immer, weil ihm nichts entgegenſtand, und
er ſich unermaͤßlich ausbreitete, allein durch
eigne Laſt zerfallen. Allerdings hat dieſer
Deſpotismus auch oft die ſchrecklichſten Wuͤr-
kungen hervorgebracht, und wie der Philo-
ſoph ſagen wird, die ſchrecklichſte von allen,
daß kein Morgenlaͤnder, als ſolcher, noch
kaum von einer menſchlichen, beſſern Ver-
faſſung, innigen Begrif haben kann. —
Aber alle das ſpaͤter dahingeſtellt, und zuge-
geben: Anfangs unter der milden Vaterre-
gierung war nicht eben der Morgenlaͤnder mit
ſeinem zarten Kindesſinne der gluͤcklichſte
und
Suche im WerkInformationen zum Werk
Download dieses Werks
XML (TEI P5) ·
HTML ·
Text Metadaten zum WerkTEI-Header · CMDI · Dublin Core Ansichten dieser Seite
Voyant Tools ?Language Resource Switchboard?FeedbackSie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden. Kommentar zur DTA-AusgabeDieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.
|
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden. Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des § 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
2007–2024 Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften.
Kontakt: redaktion(at)deutschestextarchiv.de. |