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[Herder, Johann Gottfried von]: Auch eine Philosophie der Geschichte zur Bildung der Menschheit. [Riga], 1774.

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Der beste Geschichtschreiber der Kunst des
Alterthums Winkelmann,
hat über die Kunst-
werke der Aegypter offenbar nur nach griechi-
schem Maasstabe geurtheilt, sie also verneinend
sehr gut, aber nach eigner Natur und Art so
wenig geschildert, daß fast bey jedem seiner
Sätze in diesem Hauptstück das offenbar Ein-
seitige und Schielende vorleuchtet. So Webb,
wenn er ihre Literatur der Griechischen ent-
gegensetzt: so manche andre, die über ägypti-
sche Sitten und Regierungsform
gar mit
europäischem Geist geschrieben haben -- Und
da es den Aegyptern meistens so geht, daß man
zu ihnen aus Griechenland und also mit blos
griechischem Auge kommt -- Wie kanns ih-
nen schlechter gehen? Aber theurer Grieche!
diese Bildsäulen sollten nun nichts weniger
(wie du aus allem wahrnehmen könntest)
als Muster der schönen Kunst nach deinem
Jdeal
seyn! voll Reitz, Handlung, Bewegung,
wo von allem der Aegypter nichts wuste, oder
was sein Zweck ihm gerade wegschnitt. Mu-
mien
sollten sie seyn! Erinnerungen an ver-
storbne Aeltern
oder Vorfahren nach aller
Genauigkeit ihrer Gesichtszüge, Größe nach
hundert vestgesetzten Regeln, an die der Kna-
be gebunden war -- Also natürlich eben ohne

Reitz,


Der beſte Geſchichtſchreiber der Kunſt des
Alterthums Winkelmann,
hat uͤber die Kunſt-
werke der Aegypter offenbar nur nach griechi-
ſchem Maasſtabe geurtheilt, ſie alſo verneinend
ſehr gut, aber nach eigner Natur und Art ſo
wenig geſchildert, daß faſt bey jedem ſeiner
Saͤtze in dieſem Hauptſtuͤck das offenbar Ein-
ſeitige und Schielende vorleuchtet. So Webb,
wenn er ihre Literatur der Griechiſchen ent-
gegenſetzt: ſo manche andre, die uͤber aͤgypti-
ſche Sitten und Regierungsform
gar mit
europaͤiſchem Geiſt geſchrieben haben — Und
da es den Aegyptern meiſtens ſo geht, daß man
zu ihnen aus Griechenland und alſo mit blos
griechiſchem Auge kommt — Wie kanns ih-
nen ſchlechter gehen? Aber theurer Grieche!
dieſe Bildſaͤulen ſollten nun nichts weniger
(wie du aus allem wahrnehmen koͤnnteſt)
als Muſter der ſchoͤnen Kunſt nach deinem
Jdeal
ſeyn! voll Reitz, Handlung, Bewegung,
wo von allem der Aegypter nichts wuſte, oder
was ſein Zweck ihm gerade wegſchnitt. Mu-
mien
ſollten ſie ſeyn! Erinnerungen an ver-
ſtorbne Aeltern
oder Vorfahren nach aller
Genauigkeit ihrer Geſichtszuͤge, Groͤße nach
hundert veſtgeſetzten Regeln, an die der Kna-
be gebunden war — Alſo natuͤrlich eben ohne

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[27/0031] Der beſte Geſchichtſchreiber der Kunſt des Alterthums Winkelmann, hat uͤber die Kunſt- werke der Aegypter offenbar nur nach griechi- ſchem Maasſtabe geurtheilt, ſie alſo verneinend ſehr gut, aber nach eigner Natur und Art ſo wenig geſchildert, daß faſt bey jedem ſeiner Saͤtze in dieſem Hauptſtuͤck das offenbar Ein- ſeitige und Schielende vorleuchtet. So Webb, wenn er ihre Literatur der Griechiſchen ent- gegenſetzt: ſo manche andre, die uͤber aͤgypti- ſche Sitten und Regierungsform gar mit europaͤiſchem Geiſt geſchrieben haben — Und da es den Aegyptern meiſtens ſo geht, daß man zu ihnen aus Griechenland und alſo mit blos griechiſchem Auge kommt — Wie kanns ih- nen ſchlechter gehen? Aber theurer Grieche! dieſe Bildſaͤulen ſollten nun nichts weniger (wie du aus allem wahrnehmen koͤnnteſt) als Muſter der ſchoͤnen Kunſt nach deinem Jdeal ſeyn! voll Reitz, Handlung, Bewegung, wo von allem der Aegypter nichts wuſte, oder was ſein Zweck ihm gerade wegſchnitt. Mu- mien ſollten ſie ſeyn! Erinnerungen an ver- ſtorbne Aeltern oder Vorfahren nach aller Genauigkeit ihrer Geſichtszuͤge, Groͤße nach hundert veſtgeſetzten Regeln, an die der Kna- be gebunden war — Alſo natuͤrlich eben ohne Reitz,

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Zitationshilfe: [Herder, Johann Gottfried von]: Auch eine Philosophie der Geschichte zur Bildung der Menschheit. [Riga], 1774, S. 27. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/herder_philosophie_1774/31>, abgerufen am 24.11.2024.