Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

[Herder, Johann Gottfried von]: Auch eine Philosophie der Geschichte zur Bildung der Menschheit. [Riga], 1774.

Bild:
<< vorherige Seite



furchtsam, todscheu, weichlich, unwissend,
müßig,
abergläubig, wenn du Galle im Auge
hast, abscheulich vorkäme: er ist, wozu ihn
Gott, Klima, Zeit und Stufe des Weltalters
bilden konnte, Patriarch! -- Hat also gegen
alle Verluste späterer Zeiten, Unschuld, Got-
tesfurcht, Menschlichkeit:
in denen er für
jedes späte Zeitalter ewig ein Gott seyn wird!
der Aegypter kriechend, sklavisch, ein Erd-
thier, abergläubisch
und traurig, hart ge-
gen Fremde, ein gedankenloses Geschöpf der
Gewohnheit
-- hier gegen den leichten alles
schön bildenden Griechen, dort gegen einen
Menschenfreund im hohen Geschmack unsers
Jahrhunderts,
der alle Weisheit im Kopfe und
alle Welt im Busen trägt -- welche Figur!
aber nun auch jenes Unverdrossenheit, Treue,
starke Ruhe
-- kannst du die mit der grie-
chischen Knabenfreundschaft und Jugendbuh-
lerey
um alles Schöne und Angenehme ver-
gleichen? und wieder griechische Leichtigkeit,
Tändeley
mit Religion, Mangel gewisser
Liebe, Zucht und Ehrbarkeit vergleichen,
wenn du ein Jdeal, weiß nicht wessen nehmen
wolltest? Konnten aber jene Vollkommenhei-
ten
ohne diese Mängel in dem Maaße und
Grade ausgebildet werden? Die Vorsehung

selbst,



furchtſam, todſcheu, weichlich, unwiſſend,
muͤßig,
aberglaͤubig, wenn du Galle im Auge
haſt, abſcheulich vorkaͤme: er iſt, wozu ihn
Gott, Klima, Zeit und Stufe des Weltalters
bilden konnte, Patriarch! — Hat alſo gegen
alle Verluſte ſpaͤterer Zeiten, Unſchuld, Got-
tesfurcht, Menſchlichkeit:
in denen er fuͤr
jedes ſpaͤte Zeitalter ewig ein Gott ſeyn wird!
der Aegypter kriechend, ſklaviſch, ein Erd-
thier, aberglaͤubiſch
und traurig, hart ge-
gen Fremde, ein gedankenloſes Geſchoͤpf der
Gewohnheit
— hier gegen den leichten alles
ſchoͤn bildenden Griechen, dort gegen einen
Menſchenfreund im hohen Geſchmack unſers
Jahrhunderts,
der alle Weisheit im Kopfe und
alle Welt im Buſen traͤgt — welche Figur!
aber nun auch jenes Unverdroſſenheit, Treue,
ſtarke Ruhe
— kannſt du die mit der grie-
chiſchen Knabenfreundſchaft und Jugendbuh-
lerey
um alles Schoͤne und Angenehme ver-
gleichen? und wieder griechiſche Leichtigkeit,
Taͤndeley
mit Religion, Mangel gewiſſer
Liebe, Zucht und Ehrbarkeit vergleichen,
wenn du ein Jdeal, weiß nicht weſſen nehmen
wollteſt? Konnten aber jene Vollkommenhei-
ten
ohne dieſe Maͤngel in dem Maaße und
Grade ausgebildet werden? Die Vorſehung

ſelbſt,
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0056" n="52"/><fw place="top" type="header"><milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/></fw><hi rendition="#b">furcht&#x017F;am, tod&#x017F;cheu, weichlich, unwi&#x017F;&#x017F;end,<lb/>
mu&#x0364;ßig,</hi> abergla&#x0364;ubig, wenn du Galle im Auge<lb/>
ha&#x017F;t, ab&#x017F;cheulich vorka&#x0364;me: er i&#x017F;t, wozu ihn<lb/>
Gott, Klima, Zeit und Stufe des Weltalters<lb/>
bilden konnte, <hi rendition="#b">Patriarch!</hi> &#x2014; Hat al&#x017F;o gegen<lb/>
alle Verlu&#x017F;te &#x017F;pa&#x0364;terer Zeiten, <hi rendition="#b">Un&#x017F;chuld, Got-<lb/>
tesfurcht, Men&#x017F;chlichkeit:</hi> in denen er fu&#x0364;r<lb/>
jedes &#x017F;pa&#x0364;te Zeitalter ewig <hi rendition="#b">ein Gott</hi> &#x017F;eyn wird!<lb/>
der <hi rendition="#b">Aegypter kriechend, &#x017F;klavi&#x017F;ch,</hi> ein <hi rendition="#b">Erd-<lb/>
thier, abergla&#x0364;ubi&#x017F;ch</hi> und <hi rendition="#b">traurig, hart</hi> ge-<lb/>
gen <hi rendition="#b">Fremde,</hi> ein <hi rendition="#b">gedankenlo&#x017F;es Ge&#x017F;cho&#x0364;pf der<lb/>
Gewohnheit</hi> &#x2014; hier gegen den leichten alles<lb/>
&#x017F;cho&#x0364;n <hi rendition="#b">bildenden Griechen,</hi> dort gegen einen<lb/><hi rendition="#b">Men&#x017F;chenfreund</hi> im <hi rendition="#b">hohen Ge&#x017F;chmack un&#x017F;ers<lb/>
Jahrhunderts,</hi> der alle Weisheit im Kopfe und<lb/>
alle Welt im Bu&#x017F;en tra&#x0364;gt &#x2014; welche Figur!<lb/>
aber nun auch jenes <hi rendition="#b">Unverdro&#x017F;&#x017F;enheit, Treue,<lb/>
&#x017F;tarke Ruhe</hi> &#x2014; kann&#x017F;t du die mit der grie-<lb/>
chi&#x017F;chen <hi rendition="#b">Knabenfreund&#x017F;chaft</hi> und <hi rendition="#b">Jugendbuh-<lb/>
lerey</hi> um alles <hi rendition="#b">Scho&#x0364;ne</hi> und <hi rendition="#b">Angenehme</hi> ver-<lb/>
gleichen? und wieder griechi&#x017F;che <hi rendition="#b">Leichtigkeit,<lb/>
Ta&#x0364;ndeley</hi> mit <hi rendition="#b">Religion, Mangel</hi> gewi&#x017F;&#x017F;er<lb/><hi rendition="#b">Liebe, Zucht</hi> und <hi rendition="#b">Ehrbarkeit</hi> vergleichen,<lb/>
wenn du ein Jdeal, weiß nicht we&#x017F;&#x017F;en nehmen<lb/>
wollte&#x017F;t? Konnten aber jene <hi rendition="#b">Vollkommenhei-<lb/>
ten</hi> ohne die&#x017F;e <hi rendition="#b">Ma&#x0364;ngel</hi> in dem <hi rendition="#b">Maaße</hi> und<lb/><hi rendition="#b">Grade</hi> ausgebildet werden? Die <hi rendition="#b">Vor&#x017F;ehung</hi><lb/>
<fw place="bottom" type="catch">&#x017F;elb&#x017F;t,</fw><lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[52/0056] furchtſam, todſcheu, weichlich, unwiſſend, muͤßig, aberglaͤubig, wenn du Galle im Auge haſt, abſcheulich vorkaͤme: er iſt, wozu ihn Gott, Klima, Zeit und Stufe des Weltalters bilden konnte, Patriarch! — Hat alſo gegen alle Verluſte ſpaͤterer Zeiten, Unſchuld, Got- tesfurcht, Menſchlichkeit: in denen er fuͤr jedes ſpaͤte Zeitalter ewig ein Gott ſeyn wird! der Aegypter kriechend, ſklaviſch, ein Erd- thier, aberglaͤubiſch und traurig, hart ge- gen Fremde, ein gedankenloſes Geſchoͤpf der Gewohnheit — hier gegen den leichten alles ſchoͤn bildenden Griechen, dort gegen einen Menſchenfreund im hohen Geſchmack unſers Jahrhunderts, der alle Weisheit im Kopfe und alle Welt im Buſen traͤgt — welche Figur! aber nun auch jenes Unverdroſſenheit, Treue, ſtarke Ruhe — kannſt du die mit der grie- chiſchen Knabenfreundſchaft und Jugendbuh- lerey um alles Schoͤne und Angenehme ver- gleichen? und wieder griechiſche Leichtigkeit, Taͤndeley mit Religion, Mangel gewiſſer Liebe, Zucht und Ehrbarkeit vergleichen, wenn du ein Jdeal, weiß nicht weſſen nehmen wollteſt? Konnten aber jene Vollkommenhei- ten ohne dieſe Maͤngel in dem Maaße und Grade ausgebildet werden? Die Vorſehung ſelbſt,

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/herder_philosophie_1774
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/herder_philosophie_1774/56
Zitationshilfe: [Herder, Johann Gottfried von]: Auch eine Philosophie der Geschichte zur Bildung der Menschheit. [Riga], 1774, S. 52. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/herder_philosophie_1774/56>, abgerufen am 21.11.2024.