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[Herder, Johann Gottfried von]: Auch eine Philosophie der Geschichte zur Bildung der Menschheit. [Riga], 1774.

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"sten Denkart vermischt worden?" eben das,
dünkt mich offenbare Natur der Sache. War
diese Religion, wie sies würklich ist der feine
Geist, "ein Deismus der Menschenfreund-
"schaft,"
der sich in kein einzeln bürgerlich
Gesetz mischen sollte; wars jene Philosophie
des Himmels, die eben ihrer Höhe und un-
irrdischer Lauterkeit wegen, ganze Erde um-
fassen konnte: mich dünkt, so wars schlechter-
dings unmöglich, daß der feine Duft seyn, an-
gewandt
werden konnte, ohne mit irrdischern
Materien vermischt zu werden, und sie gleich-
sam zum Vehikulum zu bedürfen. Das war
nun natürlich die Denkart jedes Volks, sei-
ne Sitten und Gesetze, Neigungen und Fä-
higkeiten
-- kalt oder warm, gut oder böse,
barbarisch oder gebildet -- alles, wie es war.
Die christliche Religion konnte und sollte nur
durch alles dringen, und wer sich überhaupt
von göttlichen Veranstaltungen in der Welt
und im Menschenreich anders als durch welt-
und menschliche Triebfedern Begriffe macht,
ist wahrhaftig mehr zu utopischdichteri-
schen,
als zu philosophischnatürlichen Ab-
straktionen geschaffen. Wenn hat in der gan-
zen Analogie der Natur
die Gottheit anders,
als durch Natur gehandelt? und ist darum

keine



„ſten Denkart vermiſcht worden?“ eben das,
duͤnkt mich offenbare Natur der Sache. War
dieſe Religion, wie ſies wuͤrklich iſt der feine
Geiſt, „ein Deiſmus der Menſchenfreund-
„ſchaft,„
der ſich in kein einzeln buͤrgerlich
Geſetz miſchen ſollte; wars jene Philoſophie
des Himmels, die eben ihrer Hoͤhe und un-
irrdiſcher Lauterkeit wegen, ganze Erde um-
faſſen konnte: mich duͤnkt, ſo wars ſchlechter-
dings unmoͤglich, daß der feine Duft ſeyn, an-
gewandt
werden konnte, ohne mit irrdiſchern
Materien vermiſcht zu werden, und ſie gleich-
ſam zum Vehikulum zu beduͤrfen. Das war
nun natuͤrlich die Denkart jedes Volks, ſei-
ne Sitten und Geſetze, Neigungen und Faͤ-
higkeiten
— kalt oder warm, gut oder boͤſe,
barbariſch oder gebildet — alles, wie es war.
Die chriſtliche Religion konnte und ſollte nur
durch alles dringen, und wer ſich uͤberhaupt
von goͤttlichen Veranſtaltungen in der Welt
und im Menſchenreich anders als durch welt-
und menſchliche Triebfedern Begriffe macht,
iſt wahrhaftig mehr zu utopiſchdichteri-
ſchen,
als zu philoſophiſchnatuͤrlichen Ab-
ſtraktionen geſchaffen. Wenn hat in der gan-
zen Analogie der Natur
die Gottheit anders,
als durch Natur gehandelt? und iſt darum

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[75/0079] „ſten Denkart vermiſcht worden?“ eben das, duͤnkt mich offenbare Natur der Sache. War dieſe Religion, wie ſies wuͤrklich iſt der feine Geiſt, „ein Deiſmus der Menſchenfreund- „ſchaft,„ der ſich in kein einzeln buͤrgerlich Geſetz miſchen ſollte; wars jene Philoſophie des Himmels, die eben ihrer Hoͤhe und un- irrdiſcher Lauterkeit wegen, ganze Erde um- faſſen konnte: mich duͤnkt, ſo wars ſchlechter- dings unmoͤglich, daß der feine Duft ſeyn, an- gewandt werden konnte, ohne mit irrdiſchern Materien vermiſcht zu werden, und ſie gleich- ſam zum Vehikulum zu beduͤrfen. Das war nun natuͤrlich die Denkart jedes Volks, ſei- ne Sitten und Geſetze, Neigungen und Faͤ- higkeiten — kalt oder warm, gut oder boͤſe, barbariſch oder gebildet — alles, wie es war. Die chriſtliche Religion konnte und ſollte nur durch alles dringen, und wer ſich uͤberhaupt von goͤttlichen Veranſtaltungen in der Welt und im Menſchenreich anders als durch welt- und menſchliche Triebfedern Begriffe macht, iſt wahrhaftig mehr zu utopiſchdichteri- ſchen, als zu philoſophiſchnatuͤrlichen Ab- ſtraktionen geſchaffen. Wenn hat in der gan- zen Analogie der Natur die Gottheit anders, als durch Natur gehandelt? und iſt darum keine

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Zitationshilfe: [Herder, Johann Gottfried von]: Auch eine Philosophie der Geschichte zur Bildung der Menschheit. [Riga], 1774, S. 75. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/herder_philosophie_1774/79>, abgerufen am 24.11.2024.