Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

[Herder, Johann Gottfried von]: Plastik. Riga u. a., 1778.

Bild:
<< vorherige Seite

Sinnes, den sie nicht besaß, nur sie verstand kei-
nen: es war aufgeschnapptes Papageienwesen,
wie ein großer Theil der Sprache bei uns Men-
schen mit fünf Sinnen immer fort ist. Uebri-
gens halte ich Mängel von dieser Art für die ein-
zige sicherste Quelle, unsre Sprache und Begriffe
der so verflochtnen Sinnlichkeit zu scheiden und
jedem Sinne wiederzugeben, was sein ist. Wenn
je eine praktische Vernunftlehre, ein philosophi-
sches Lexicon der Sprache, Sinne und schönen
Künste
geschrieben wird, wo jedes Wort, jeder
Begriff seinen Ursprung finde, und wo den Gän-
gen nachgespürt werde, wie er sich von Sinn zu
Sinn, von Sinn zu Seele übertrage? so, dünkt
mich, müssen Versuche der Art Leitfaden seyn,
oder alles bleibt Labyrinth und Vernunftgewäsche,
wie es jetzt ist.

Jn diesem Buche ist über Einen Sinn, und
aus Einer Kunst und Klasse von Begriffen eine
kleine Anfangsprobe. Honny soit qui mal y
pense,
und der, was aufrichtiges Tappen nach
Wahrheit, Richtigkeit, Einfalt war, was züchti-
ges Gefühl bedeutungsvoller Formen der Schö-
pfung Gottes und nicht Unzuchtbegriffe wecken
sollte, mit Anmerkungen eines Gecken, oder An-
wendungen eines Buben entehret. Das Beste
kann zuerst gemißbraucht werden, eben weil an
ihm etwas zu mißbrauchen ist; ja die Wahrheit,

die

Sinnes, den ſie nicht beſaß, nur ſie verſtand kei-
nen: es war aufgeſchnapptes Papageienweſen,
wie ein großer Theil der Sprache bei uns Men-
ſchen mit fuͤnf Sinnen immer fort iſt. Uebri-
gens halte ich Maͤngel von dieſer Art fuͤr die ein-
zige ſicherſte Quelle, unſre Sprache und Begriffe
der ſo verflochtnen Sinnlichkeit zu ſcheiden und
jedem Sinne wiederzugeben, was ſein iſt. Wenn
je eine praktiſche Vernunftlehre, ein philoſophi-
ſches Lexicon der Sprache, Sinne und ſchoͤnen
Kuͤnſte
geſchrieben wird, wo jedes Wort, jeder
Begriff ſeinen Urſprung finde, und wo den Gaͤn-
gen nachgeſpuͤrt werde, wie er ſich von Sinn zu
Sinn, von Sinn zu Seele uͤbertrage? ſo, duͤnkt
mich, muͤſſen Verſuche der Art Leitfaden ſeyn,
oder alles bleibt Labyrinth und Vernunftgewaͤſche,
wie es jetzt iſt.

Jn dieſem Buche iſt uͤber Einen Sinn, und
aus Einer Kunſt und Klaſſe von Begriffen eine
kleine Anfangsprobe. Honny ſoit qui mal y
penſe,
und der, was aufrichtiges Tappen nach
Wahrheit, Richtigkeit, Einfalt war, was zuͤchti-
ges Gefuͤhl bedeutungsvoller Formen der Schoͤ-
pfung Gottes und nicht Unzuchtbegriffe wecken
ſollte, mit Anmerkungen eines Gecken, oder An-
wendungen eines Buben entehret. Das Beſte
kann zuerſt gemißbraucht werden, eben weil an
ihm etwas zu mißbrauchen iſt; ja die Wahrheit,

die
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0117" n="114"/>
Sinnes, den &#x017F;ie nicht be&#x017F;aß, nur &#x017F;ie ver&#x017F;tand kei-<lb/>
nen: es war aufge&#x017F;chnapptes Papageienwe&#x017F;en,<lb/>
wie ein großer Theil der Sprache bei uns Men-<lb/>
&#x017F;chen mit fu&#x0364;nf Sinnen immer fort i&#x017F;t. Uebri-<lb/>
gens halte ich Ma&#x0364;ngel von die&#x017F;er Art fu&#x0364;r die ein-<lb/>
zige &#x017F;icher&#x017F;te Quelle, un&#x017F;re Sprache und Begriffe<lb/>
der &#x017F;o verflochtnen Sinnlichkeit zu &#x017F;cheiden und<lb/>
jedem Sinne wiederzugeben, was &#x017F;ein i&#x017F;t. Wenn<lb/>
je eine prakti&#x017F;che <hi rendition="#fr">Vernunftlehre,</hi> ein philo&#x017F;ophi-<lb/>
&#x017F;ches Lexicon der <hi rendition="#fr">Sprache, Sinne</hi> und <hi rendition="#fr">&#x017F;cho&#x0364;nen<lb/>
Ku&#x0364;n&#x017F;te</hi> ge&#x017F;chrieben wird, wo jedes Wort, jeder<lb/>
Begriff &#x017F;einen Ur&#x017F;prung finde, und wo den Ga&#x0364;n-<lb/>
gen nachge&#x017F;pu&#x0364;rt werde, wie er &#x017F;ich von Sinn zu<lb/>
Sinn, von Sinn zu Seele u&#x0364;bertrage? &#x017F;o, du&#x0364;nkt<lb/>
mich, mu&#x0364;&#x017F;&#x017F;en Ver&#x017F;uche der Art Leitfaden &#x017F;eyn,<lb/>
oder alles bleibt Labyrinth und Vernunftgewa&#x0364;&#x017F;che,<lb/>
wie es jetzt i&#x017F;t.</p><lb/>
        <p>Jn die&#x017F;em Buche i&#x017F;t u&#x0364;ber Einen Sinn, und<lb/>
aus Einer Kun&#x017F;t und Kla&#x017F;&#x017F;e von Begriffen eine<lb/>
kleine Anfangsprobe. <hi rendition="#aq">Honny &#x017F;oit qui mal y<lb/>
pen&#x017F;e,</hi> und der, was aufrichtiges Tappen nach<lb/>
Wahrheit, Richtigkeit, Einfalt war, was zu&#x0364;chti-<lb/>
ges Gefu&#x0364;hl bedeutungsvoller Formen der Scho&#x0364;-<lb/>
pfung Gottes und nicht Unzuchtbegriffe wecken<lb/>
&#x017F;ollte, mit Anmerkungen eines Gecken, oder An-<lb/>
wendungen eines Buben entehret. Das Be&#x017F;te<lb/>
kann zuer&#x017F;t gemißbraucht werden, eben weil an<lb/>
ihm etwas zu mißbrauchen i&#x017F;t; ja die Wahrheit,<lb/>
<fw place="bottom" type="catch">die</fw><lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[114/0117] Sinnes, den ſie nicht beſaß, nur ſie verſtand kei- nen: es war aufgeſchnapptes Papageienweſen, wie ein großer Theil der Sprache bei uns Men- ſchen mit fuͤnf Sinnen immer fort iſt. Uebri- gens halte ich Maͤngel von dieſer Art fuͤr die ein- zige ſicherſte Quelle, unſre Sprache und Begriffe der ſo verflochtnen Sinnlichkeit zu ſcheiden und jedem Sinne wiederzugeben, was ſein iſt. Wenn je eine praktiſche Vernunftlehre, ein philoſophi- ſches Lexicon der Sprache, Sinne und ſchoͤnen Kuͤnſte geſchrieben wird, wo jedes Wort, jeder Begriff ſeinen Urſprung finde, und wo den Gaͤn- gen nachgeſpuͤrt werde, wie er ſich von Sinn zu Sinn, von Sinn zu Seele uͤbertrage? ſo, duͤnkt mich, muͤſſen Verſuche der Art Leitfaden ſeyn, oder alles bleibt Labyrinth und Vernunftgewaͤſche, wie es jetzt iſt. Jn dieſem Buche iſt uͤber Einen Sinn, und aus Einer Kunſt und Klaſſe von Begriffen eine kleine Anfangsprobe. Honny ſoit qui mal y penſe, und der, was aufrichtiges Tappen nach Wahrheit, Richtigkeit, Einfalt war, was zuͤchti- ges Gefuͤhl bedeutungsvoller Formen der Schoͤ- pfung Gottes und nicht Unzuchtbegriffe wecken ſollte, mit Anmerkungen eines Gecken, oder An- wendungen eines Buben entehret. Das Beſte kann zuerſt gemißbraucht werden, eben weil an ihm etwas zu mißbrauchen iſt; ja die Wahrheit, die

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/herder_plastik_1778
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/herder_plastik_1778/117
Zitationshilfe: [Herder, Johann Gottfried von]: Plastik. Riga u. a., 1778, S. 114. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/herder_plastik_1778/117>, abgerufen am 27.11.2024.