[Herder, Johann Gottfried von]: Plastik. Riga u. a., 1778.die alle dastehn und paradiren, an der Handlung der- D 4
die alle daſtehn und paradiren, an der Handlung der- D 4
<TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <p><pb facs="#f0058" n="55"/> die alle daſtehn und paradiren, an der Handlung<lb/> ſo wenig Antheil nehmen als moͤglich, und uns in<lb/> wenigen Tagen und Stunden ſo leer ſind, daß<lb/> man in Jahren keine Larven der Art ſehen mag.<lb/> Jch gebe es gern zu, daß es beſſer ſei, wenn<lb/> Gott die Hauptperſon oder Hauptperſonen des<lb/> Gemaͤhldes ſchoͤn, als wenn er ſie haͤßlich gemacht<lb/> hat; aber nun auch <hi rendition="#fr">jede Nebenperſon?</hi> jeden<lb/> Engel, der im Winkel oder hinter der Thuͤr ſteckt?<lb/> Und nun, wenn dieſe <hi rendition="#fr">Luͤge</hi> von Schoͤnheit ſogleich<lb/> der ganzen Vorſtellung, der Geſchichte, dem<lb/> Charakter der Handlung Hohn ſpricht, und dieſe<lb/> jene offenbar als Luͤge zeihet? Da wird ein <hi rendition="#fr">Miß-<lb/> ton,</hi> ein <hi rendition="#fr">Unleidliches</hi> vom <hi rendition="#fr">Ganzen</hi> im Gemaͤhl-<lb/> de, das zwar der Antikennarr nicht gewahr wird,<lb/> aber der Freund der Antike um ſo weher fuͤhlet.<lb/> Und endlich wird uns ja ganz <hi rendition="#fr">unſre Zeit,</hi> die<lb/> fruchtbarſten Sujets der <hi rendition="#fr">Geſchichte,</hi> die <hi rendition="#fr">leben-<lb/> digſten Charaktere,</hi> alles Gefuͤhl von <hi rendition="#fr">einzelner<lb/> Wahrheit</hi> und <hi rendition="#fr">Beſtimmtheit</hi> hinwegantikiſiret.<lb/> Die Nachwelt wird an ſolchen Schoͤngeiſtereien<lb/> von Werk und Theorie ſtehen und ſtaunen und<lb/> wiſſen nicht, wie uns war? zu welcher Zeit wir<lb/> lebten? und was uns denn auf den erbaͤrmlichen<lb/> Wahn brachte, zu einer <hi rendition="#fr">andern</hi> Zeit, unter ei-<lb/> nem <hi rendition="#fr">andern</hi> Volk und Himmelsſtrich leben zu wol-<lb/> len, und dabei die ganze Tafel der Natur und<lb/> Geſchichte <hi rendition="#fr">aufzugeben</hi> oder jaͤmmerlich zu <hi rendition="#fr">ver-</hi><lb/> <fw place="bottom" type="sig">D 4</fw><fw place="bottom" type="catch"><hi rendition="#fr">der-</hi></fw><lb/></p> </div> </div> </body> </text> </TEI> [55/0058]
die alle daſtehn und paradiren, an der Handlung
ſo wenig Antheil nehmen als moͤglich, und uns in
wenigen Tagen und Stunden ſo leer ſind, daß
man in Jahren keine Larven der Art ſehen mag.
Jch gebe es gern zu, daß es beſſer ſei, wenn
Gott die Hauptperſon oder Hauptperſonen des
Gemaͤhldes ſchoͤn, als wenn er ſie haͤßlich gemacht
hat; aber nun auch jede Nebenperſon? jeden
Engel, der im Winkel oder hinter der Thuͤr ſteckt?
Und nun, wenn dieſe Luͤge von Schoͤnheit ſogleich
der ganzen Vorſtellung, der Geſchichte, dem
Charakter der Handlung Hohn ſpricht, und dieſe
jene offenbar als Luͤge zeihet? Da wird ein Miß-
ton, ein Unleidliches vom Ganzen im Gemaͤhl-
de, das zwar der Antikennarr nicht gewahr wird,
aber der Freund der Antike um ſo weher fuͤhlet.
Und endlich wird uns ja ganz unſre Zeit, die
fruchtbarſten Sujets der Geſchichte, die leben-
digſten Charaktere, alles Gefuͤhl von einzelner
Wahrheit und Beſtimmtheit hinwegantikiſiret.
Die Nachwelt wird an ſolchen Schoͤngeiſtereien
von Werk und Theorie ſtehen und ſtaunen und
wiſſen nicht, wie uns war? zu welcher Zeit wir
lebten? und was uns denn auf den erbaͤrmlichen
Wahn brachte, zu einer andern Zeit, unter ei-
nem andern Volk und Himmelsſtrich leben zu wol-
len, und dabei die ganze Tafel der Natur und
Geſchichte aufzugeben oder jaͤmmerlich zu ver-
der-
D 4
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