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Hering, Ewald: Zur Lehre vom Lichtsinne. Zweiter, unveränderter Abdruck. Wien, 1878.

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sprechenden schwarzweißen Empfindung. Nehmen wir an, das
Sehorgan sei lange verdunkelt gewesen, und es habe sich ein
Zustand desselben hergestellt, bei welchem die Dissimilirung
nicht blos in der farblosen Substanz (vgl. §. 31), sondern auch
in jeder farbigen eben so groß wie die Assimilirung, und also
das Sehorgan gleichsam in neutraler Stimmung ist, so wer-
den jetzt in der Gesammtempfindung des Sehorganes je zwei
Gegenfarben gleich stark enthalten sein, aber das Weiß und
Schwarz stärker als die vier Grundfarben.

Die Empfindung, welche diesem Zustande des Sehorgans
entspricht, habe ich als das mittle Grau bezeichnet und dasselbe
zunächst als eine nur binär, nämlich aus Schwarz und Weiß
gemischte Empfindung angesehen. Aber genau genommen ist
dies nicht richtig; denn es sind in dieser Mischempfindung auch
die vier Grundfarben enthalten, jedoch so schwach, daß sie nicht
über die Schwelle, d. h. nicht deutlich erkennbar hervortreten,
und nur die Verwandtschaft dieses Grau mit dem Schwarz und
Weiß offenbar ist (vgl. §. 39).

Daß wir nun Roth und Grün oder Gelb und Blau nie gleich-
zeitig in einer Mischfarbe enthalten sehen, wie etwa im Violett
das Roth und Blau, hat seinen Grund darin, daß durch soge-
nanntes farbiges Licht immer nur einer von zwei Gegenfarben
zu einem relativ starken Gewichte verholfen werden kann. Denn
wenn wir zu einem eben wirkenden farbigen Lichte anderes
Licht in mäßiger Menge beimischen, welches für sich allein die
Gegenfarbe erwirken würde, so schwächen wir damit wegen der
antagonistischen Wirkungen beider Lichtarten zunächst die Wir-
kung des ersten Lichtes, mindern also das Gewicht der ersten
Farbe ohne die Gegenfarbe zu verstärken und erreichen somit
das Gegentheil von dem, was wir beabsichtigten. Enthielte das
gemischte Sonnenlicht auch Strahlen, welche assimilirend auf
die schwarzweiße Substanz wirkten, könnten diese Strahlen bis
zur Netzhaut gelangen und wäre ihre assimilirende Wirkung
eben so stark wie die dissimilirende der wirklichen Sonnen-
strahlen, so würden wir solches Sonnenlicht auch nicht mittelst
der schwarzweißen Substanz und also gar nicht sehen; wie wir
ja auch das im passenden Verhältnisse gemischte blaue und gelbe
Licht mittelst der blaugelben Sehsubstanz nicht sehen.

sprechenden schwarzweißen Empfindung. Nehmen wir an, das
Sehorgan sei lange verdunkelt gewesen, und es habe sich ein
Zustand desselben hergestellt, bei welchem die Dissimilirung
nicht blos in der farblosen Substanz (vgl. §. 31), sondern auch
in jeder farbigen eben so groß wie die Assimilirung, und also
das Sehorgan gleichsam in neutraler Stimmung ist, so wer-
den jetzt in der Gesammtempfindung des Sehorganes je zwei
Gegenfarben gleich stark enthalten sein, aber das Weiß und
Schwarz stärker als die vier Grundfarben.

Die Empfindung, welche diesem Zustande des Sehorgans
entspricht, habe ich als das mittle Grau bezeichnet und dasselbe
zunächst als eine nur binär, nämlich aus Schwarz und Weiß
gemischte Empfindung angesehen. Aber genau genommen ist
dies nicht richtig; denn es sind in dieser Mischempfindung auch
die vier Grundfarben enthalten, jedoch so schwach, daß sie nicht
über die Schwelle, d. h. nicht deutlich erkennbar hervortreten,
und nur die Verwandtschaft dieses Grau mit dem Schwarz und
Weiß offenbar ist (vgl. §. 39).

Daß wir nun Roth und Grün oder Gelb und Blau nie gleich-
zeitig in einer Mischfarbe enthalten sehen, wie etwa im Violett
das Roth und Blau, hat seinen Grund darin, daß durch soge-
nanntes farbiges Licht immer nur einer von zwei Gegenfarben
zu einem relativ starken Gewichte verholfen werden kann. Denn
wenn wir zu einem eben wirkenden farbigen Lichte anderes
Licht in mäßiger Menge beimischen, welches für sich allein die
Gegenfarbe erwirken würde, so schwächen wir damit wegen der
antagonistischen Wirkungen beider Lichtarten zunächst die Wir-
kung des ersten Lichtes, mindern also das Gewicht der ersten
Farbe ohne die Gegenfarbe zu verstärken und erreichen somit
das Gegentheil von dem, was wir beabsichtigten. Enthielte das
gemischte Sonnenlicht auch Strahlen, welche assimilirend auf
die schwarzweiße Substanz wirkten, könnten diese Strahlen bis
zur Netzhaut gelangen und wäre ihre assimilirende Wirkung
eben so stark wie die dissimilirende der wirklichen Sonnen-
strahlen, so würden wir solches Sonnenlicht auch nicht mittelst
der schwarzweißen Substanz und also gar nicht sehen; wie wir
ja auch das im passenden Verhältnisse gemischte blaue und gelbe
Licht mittelst der blaugelben Sehsubstanz nicht sehen.

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[122/0130] sprechenden schwarzweißen Empfindung. Nehmen wir an, das Sehorgan sei lange verdunkelt gewesen, und es habe sich ein Zustand desselben hergestellt, bei welchem die Dissimilirung nicht blos in der farblosen Substanz (vgl. §. 31), sondern auch in jeder farbigen eben so groß wie die Assimilirung, und also das Sehorgan gleichsam in neutraler Stimmung ist, so wer- den jetzt in der Gesammtempfindung des Sehorganes je zwei Gegenfarben gleich stark enthalten sein, aber das Weiß und Schwarz stärker als die vier Grundfarben. Die Empfindung, welche diesem Zustande des Sehorgans entspricht, habe ich als das mittle Grau bezeichnet und dasselbe zunächst als eine nur binär, nämlich aus Schwarz und Weiß gemischte Empfindung angesehen. Aber genau genommen ist dies nicht richtig; denn es sind in dieser Mischempfindung auch die vier Grundfarben enthalten, jedoch so schwach, daß sie nicht über die Schwelle, d. h. nicht deutlich erkennbar hervortreten, und nur die Verwandtschaft dieses Grau mit dem Schwarz und Weiß offenbar ist (vgl. §. 39). Daß wir nun Roth und Grün oder Gelb und Blau nie gleich- zeitig in einer Mischfarbe enthalten sehen, wie etwa im Violett das Roth und Blau, hat seinen Grund darin, daß durch soge- nanntes farbiges Licht immer nur einer von zwei Gegenfarben zu einem relativ starken Gewichte verholfen werden kann. Denn wenn wir zu einem eben wirkenden farbigen Lichte anderes Licht in mäßiger Menge beimischen, welches für sich allein die Gegenfarbe erwirken würde, so schwächen wir damit wegen der antagonistischen Wirkungen beider Lichtarten zunächst die Wir- kung des ersten Lichtes, mindern also das Gewicht der ersten Farbe ohne die Gegenfarbe zu verstärken und erreichen somit das Gegentheil von dem, was wir beabsichtigten. Enthielte das gemischte Sonnenlicht auch Strahlen, welche assimilirend auf die schwarzweiße Substanz wirkten, könnten diese Strahlen bis zur Netzhaut gelangen und wäre ihre assimilirende Wirkung eben so stark wie die dissimilirende der wirklichen Sonnen- strahlen, so würden wir solches Sonnenlicht auch nicht mittelst der schwarzweißen Substanz und also gar nicht sehen; wie wir ja auch das im passenden Verhältnisse gemischte blaue und gelbe Licht mittelst der blaugelben Sehsubstanz nicht sehen.

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Zitationshilfe: Hering, Ewald: Zur Lehre vom Lichtsinne. Zweiter, unveränderter Abdruck. Wien, 1878, S. 122. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/hering_lichtsinn_1878/130>, abgerufen am 21.11.2024.