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[Herwegh, Georg]: Gedichte eines Lebendigen. Bd. 1. Zürich u. a., 1841.

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So liebend beut die Luft des Vogels Schwingen,
Der Harfe Ton, um d'rin sich auszuklingen --
Was hast Du uns um diesen Stern betrogen,
Und, eh' es tagen wollte, uns entzogen
Den Genius, der Dir so rein verwandt,
Sich in Dein All, wie Hauch in Hauch empfand,
D'rein wie in einer Blume Kelch sich senkte,
Und d'raus ein Herz, so gottesdurstig, tränkte?
Du hast ein Auge der Natur genommen,
Das ihr in ihre tiefste Seele sah,
Um einen Beter bist Du selbst gekommen --
Um einen Beter? ei, so staunet, ja!
Um keinen Beter, ruhig, sicher, still, --
Die Flamme bebt, wenn sie nach oben will!
Um keinen Beter -- nein, um keinen Wurm --
Es tobt das Meer und lobt den Herrn im Sturm!
Der Blumen schönste brauchet einen Dorn,
Ein edles Herz zu Schutz und Trutz den Zorn;
Manch heiß Gebet hüllt sich in einen Fluch,
Wie unsre Hoffnung in das Leichentuch.
So liebend beut die Luft des Vogels Schwingen,
Der Harfe Ton, um d'rin ſich auszuklingen —
Was haſt Du uns um dieſen Stern betrogen,
Und, eh' es tagen wollte, uns entzogen
Den Genius, der Dir ſo rein verwandt,
Sich in Dein All, wie Hauch in Hauch empfand,
D'rein wie in einer Blume Kelch ſich ſenkte,
Und d'raus ein Herz, ſo gottesdurſtig, tränkte?
Du haſt ein Auge der Natur genommen,
Das ihr in ihre tiefſte Seele ſah,
Um einen Beter biſt Du ſelbſt gekommen —
Um einen Beter? ei, ſo ſtaunet, ja!
Um keinen Beter, ruhig, ſicher, ſtill, —
Die Flamme bebt, wenn ſie nach oben will!
Um keinen Beter — nein, um keinen Wurm —
Es tobt das Meer und lobt den Herrn im Sturm!
Der Blumen ſchönſte brauchet einen Dorn,
Ein edles Herz zu Schutz und Trutz den Zorn;
Manch heiß Gebet hüllt ſich in einen Fluch,
Wie unſre Hoffnung in das Leichentuch.
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[191/0197] So liebend beut die Luft des Vogels Schwingen, Der Harfe Ton, um d'rin ſich auszuklingen — Was haſt Du uns um dieſen Stern betrogen, Und, eh' es tagen wollte, uns entzogen Den Genius, der Dir ſo rein verwandt, Sich in Dein All, wie Hauch in Hauch empfand, D'rein wie in einer Blume Kelch ſich ſenkte, Und d'raus ein Herz, ſo gottesdurſtig, tränkte? Du haſt ein Auge der Natur genommen, Das ihr in ihre tiefſte Seele ſah, Um einen Beter biſt Du ſelbſt gekommen — Um einen Beter? ei, ſo ſtaunet, ja! Um keinen Beter, ruhig, ſicher, ſtill, — Die Flamme bebt, wenn ſie nach oben will! Um keinen Beter — nein, um keinen Wurm — Es tobt das Meer und lobt den Herrn im Sturm! Der Blumen ſchönſte brauchet einen Dorn, Ein edles Herz zu Schutz und Trutz den Zorn; Manch heiß Gebet hüllt ſich in einen Fluch, Wie unſre Hoffnung in das Leichentuch.

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Zitationshilfe: [Herwegh, Georg]: Gedichte eines Lebendigen. Bd. 1. Zürich u. a., 1841, S. 191. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/herwegh_gedichte01_1841/197>, abgerufen am 22.12.2024.