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Herzl, Theodor: Der Judenstaat. Versuch einer modernen Lösung der Judenfrage. Leipzig u. a., 1896.

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keine Schwierigkeit enthalten. Denn in jedem einzelnen Falle
wird der Inhaber des Geschäftes, wenn er sich zur Auswanderung
frei entschliesst, die für ihn günstigste Form der Liquidation
mit der Company-Filiale seines Sprengels vereinbaren.

Bei den kleinsten Geschäftsleuten, in deren Betrieb die
persönliche Bethätigung des Inhabers die Hauptsache und das
bischen Waare oder Einrichtung die Nebensache ist, lässt sich
die Vermögensverpflanzung am leichtesten durchführen. Für die
persönliche Bethätigung des Auswanderers schafft die Company
ein gesichertes Arbeitsgebiet, und sein bischen Material kann
ihm drüben in einem Grundstück mit Maschinencredit ersetzt
werden. Die neue Thätigkeit werden unsere findigen Leute
rasch erlernt haben. Juden passen sich bekanntlich schnell
jeder Erwerbsgattung an. So können viele Händler zu Kleinindustriellen
der Landwirthschaft gemacht werden. Die Company
kann sogar in scheinbare Verluste willigen, wenn sie die nicht
fahrende Habe der Aermeren übernimmt; denn sie erreicht
dadurch die freie Cultivirung von Landparzellen, wodurch der
Werth ihrer übrigen Parzellen steigt.

In den mittleren Betrieben, wo die sachliche Einrichtung
ebenso wichtig oder schon wichtiger ist als die persönliche
Bethätigung des Inhabers, und dessen Credit als ein entscheidendes
Imponderabile hinzukommt, lassen sich verschiedene
Formen der Liquidation denken. Das ist auch einer der Hauptpunkte,
auf denen sich die innere Wanderung der Christen
vollziehen kann. Der abziehende Jude verliert seinen persönlichen
Credit nicht, sondern nimmt ihn mit und wird ihn zur
Etablirung drüben gut verwenden. Die Jewish Company eröffnet
ihm ein Giro-Conto. Sein bisheriges Geschäft kann er auch frei
verkaufen oder Geschäftsführern unter der Aufsicht der Company-Organe
übergeben. Der Geschäftsführer kann im Pachtverhältnisse
stehen oder es kann der allmälige Ankauf durch
Theilzahlungen des Geschäftsführers angebahnt werden. Die
Company sorgt durch ihre Aufsichtsbeamten und Advocaten für
die ordentliche Verwaltung des verlassenen Geschäftes und für
den richtigen Eingang der Zahlungen. Die Company ist hier
Curator der Abwesenden. Kann aber ein Jude sein Geschäft
nicht verkaufen, vertraut er es auch keinem Mandatar an, und
will es dennoch nicht aufgeben, so bleibt er eben an seinem
jetzigen Wohnort. Auch diese Zurückbleibenden verschlechtern
ihre jetzige Lage nicht; sie sind um die Concurrenz der Abgezogenen
erleichtert, und der Antisemitismus mit seinem
"Kauft nicht bei Juden!" hat aufgehört.

Will der auswandernde Geschäftsinhaber drüben wieder
dasselbe Geschäft betreiben, so kann er sich von vorneherein

keine Schwierigkeit enthalten. Denn in jedem einzelnen Falle
wird der Inhaber des Geschäftes, wenn er sich zur Auswanderung
frei entschliesst, die für ihn günstigste Form der Liquidation
mit der Company-Filiale seines Sprengels vereinbaren.

Bei den kleinsten Geschäftsleuten, in deren Betrieb die
persönliche Bethätigung des Inhabers die Hauptsache und das
bischen Waare oder Einrichtung die Nebensache ist, lässt sich
die Vermögensverpflanzung am leichtesten durchführen. Für die
persönliche Bethätigung des Auswanderers schafft die Company
ein gesichertes Arbeitsgebiet, und sein bischen Material kann
ihm drüben in einem Grundstück mit Maschinencredit ersetzt
werden. Die neue Thätigkeit werden unsere findigen Leute
rasch erlernt haben. Juden passen sich bekanntlich schnell
jeder Erwerbsgattung an. So können viele Händler zu Kleinindustriellen
der Landwirthschaft gemacht werden. Die Company
kann sogar in scheinbare Verluste willigen, wenn sie die nicht
fahrende Habe der Aermeren übernimmt; denn sie erreicht
dadurch die freie Cultivirung von Landparzellen, wodurch der
Werth ihrer übrigen Parzellen steigt.

In den mittleren Betrieben, wo die sachliche Einrichtung
ebenso wichtig oder schon wichtiger ist als die persönliche
Bethätigung des Inhabers, und dessen Credit als ein entscheidendes
Imponderabile hinzukommt, lassen sich verschiedene
Formen der Liquidation denken. Das ist auch einer der Hauptpunkte,
auf denen sich die innere Wanderung der Christen
vollziehen kann. Der abziehende Jude verliert seinen persönlichen
Credit nicht, sondern nimmt ihn mit und wird ihn zur
Etablirung drüben gut verwenden. Die Jewish Company eröffnet
ihm ein Giro-Conto. Sein bisheriges Geschäft kann er auch frei
verkaufen oder Geschäftsführern unter der Aufsicht der Company-Organe
übergeben. Der Geschäftsführer kann im Pachtverhältnisse
stehen oder es kann der allmälige Ankauf durch
Theilzahlungen des Geschäftsführers angebahnt werden. Die
Company sorgt durch ihre Aufsichtsbeamten und Advocaten für
die ordentliche Verwaltung des verlassenen Geschäftes und für
den richtigen Eingang der Zahlungen. Die Company ist hier
Curator der Abwesenden. Kann aber ein Jude sein Geschäft
nicht verkaufen, vertraut er es auch keinem Mandatar an, und
will es dennoch nicht aufgeben, so bleibt er eben an seinem
jetzigen Wohnort. Auch diese Zurückbleibenden verschlechtern
ihre jetzige Lage nicht; sie sind um die Concurrenz der Abgezogenen
erleichtert, und der Antisemitismus mit seinem
„Kauft nicht bei Juden!“ hat aufgehört.

Will der auswandernde Geschäftsinhaber drüben wieder
dasselbe Geschäft betreiben, so kann er sich von vorneherein

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Zitationshilfe: Herzl, Theodor: Der Judenstaat. Versuch einer modernen Lösung der Judenfrage. Leipzig u. a., 1896, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/herzl_judenstaat_1896/43>, abgerufen am 27.04.2024.