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Herzl, Theodor: Der Judenstaat. Versuch einer modernen Lösung der Judenfrage. Leipzig u. a., 1896.

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verspricht, für 200.000 Francs 20.000 schwitzende, unglückliche
Leute hinausbringen, die ihm fluchen werden, weil er ihnen
diese Plage auferlegte.

Ich hingegen werde diese 200.000 Francs als Rennpreis
aussetzen für das schnellste Pferd - und dann lasse ich die
Leute durch Schranken von Longchamp abhalten. Wer hinein
will, muss zahlen: 1 Francs, 5 Francs, 20 Francs.

Die Folge ist, dass ich eine halbe Million Menschen hinausbekomme,
der Präsident der Republik fährt a la Daumont
vor, die Menge erfreut und belustigt sich an sich selbst. Es ist
für die Meisten, trotz Sonnenbrand und Staub, eine glückliche
Bewegung im Freien, und ich habe für die 200.000 Francs eine
Million an Eintrittsgeldern und Spielsteuer eingenommen. Ich
werde dieselben Leute, wann ich will, wieder dort haben; der
Baron nicht - der Baron um keinen Preis.

Ich will das Phänomen der Menge übrigens gleich ernster
beim Broterwerbe zeigen. Man versuche es einmal, in den
Strassen einer Stadt ausrufen zu lassen: "Wer in einer nach
allen Seiten freistehenden eisernen Halle im Winter bei schrecklicher
Kälte, im Sommer bei quälender Hitze, den ganzen Tag
auf seinen Beinen stehend, jeden Vorübergehenden anreden
und dem Trödelkram oder Fische oder Obst anbieten wird,
bekommt 2 fl. oder 4 Francs oder was Sie wollen."

Wie viel Leute bekommt man wohl da hin? Wenn sie der
Hunger hintreibt, wie viel Tage halten sie aus? Wenn sie aushalten,
mit welchem Eifer werden sie wohl die Vorübergehenden
zum Kaufe von Obst, Fischen oder Trödelkram zu bestimmen
versuchen?

Wir machen es anders. An den Punkten, wo ein grosser
Verkehr besteht, und diese Punkte können wir umso leichter
finden, als wir selbst ja den Verkehr leiten wohin wir wollen,
an diesen Punkten errichten wir grosse Hallen und nennen sie:
Märkte. Wir könnten die Hallen schlechter, gesundheitswidriger
bauen als jene, und doch würden uns die Leute hinströmen.
Aber wir werden sie schöner und besser, mit unserem ganzen
Wohlwollen bauen. Und diese Leute, denen wir nichts versprochen
haben, weil wir ihnen, ohne Betrüger zu sein, nichts
versprechen können, diese braven geschäftslustigen Leute werden
unter Scherzen einen lebhaften Marktverkehr hervorbringen.
Sie werden unermüdlich die Käufer haranguiren, sie werden
auf ihren Beinen dastehen und die Müdigkeit kaum merken.
Sie werden nicht nur Tag um Tag herbeieilen, um die Ersten
zu sein, sie werden sogar Verbände, Cartelle, alles Mögliche
schliessen, um nur dieses Erwerbsleben ungestört führen zu

verspricht, für 200.000 Francs 20.000 schwitzende, unglückliche
Leute hinausbringen, die ihm fluchen werden, weil er ihnen
diese Plage auferlegte.

Ich hingegen werde diese 200.000 Francs als Rennpreis
aussetzen für das schnellste Pferd – und dann lasse ich die
Leute durch Schranken von Longchamp abhalten. Wer hinein
will, muss zahlen: 1 Francs, 5 Francs, 20 Francs.

Die Folge ist, dass ich eine halbe Million Menschen hinausbekomme,
der Präsident der Republik fährt à la Daumont
vor, die Menge erfreut und belustigt sich an sich selbst. Es ist
für die Meisten, trotz Sonnenbrand und Staub, eine glückliche
Bewegung im Freien, und ich habe für die 200.000 Francs eine
Million an Eintrittsgeldern und Spielsteuer eingenommen. Ich
werde dieselben Leute, wann ich will, wieder dort haben; der
Baron nicht – der Baron um keinen Preis.

Ich will das Phänomen der Menge übrigens gleich ernster
beim Broterwerbe zeigen. Man versuche es einmal, in den
Strassen einer Stadt ausrufen zu lassen: „Wer in einer nach
allen Seiten freistehenden eisernen Halle im Winter bei schrecklicher
Kälte, im Sommer bei quälender Hitze, den ganzen Tag
auf seinen Beinen stehend, jeden Vorübergehenden anreden
und dem Trödelkram oder Fische oder Obst anbieten wird,
bekommt 2 fl. oder 4 Francs oder was Sie wollen.“

Wie viel Leute bekommt man wohl da hin? Wenn sie der
Hunger hintreibt, wie viel Tage halten sie aus? Wenn sie aushalten,
mit welchem Eifer werden sie wohl die Vorübergehenden
zum Kaufe von Obst, Fischen oder Trödelkram zu bestimmen
versuchen?

Wir machen es anders. An den Punkten, wo ein grosser
Verkehr besteht, und diese Punkte können wir umso leichter
finden, als wir selbst ja den Verkehr leiten wohin wir wollen,
an diesen Punkten errichten wir grosse Hallen und nennen sie:
Märkte. Wir könnten die Hallen schlechter, gesundheitswidriger
bauen als jene, und doch würden uns die Leute hinströmen.
Aber wir werden sie schöner und besser, mit unserem ganzen
Wohlwollen bauen. Und diese Leute, denen wir nichts versprochen
haben, weil wir ihnen, ohne Betrüger zu sein, nichts
versprechen können, diese braven geschäftslustigen Leute werden
unter Scherzen einen lebhaften Marktverkehr hervorbringen.
Sie werden unermüdlich die Käufer haranguiren, sie werden
auf ihren Beinen dastehen und die Müdigkeit kaum merken.
Sie werden nicht nur Tag um Tag herbeieilen, um die Ersten
zu sein, sie werden sogar Verbände, Cartelle, alles Mögliche
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Zitationshilfe: Herzl, Theodor: Der Judenstaat. Versuch einer modernen Lösung der Judenfrage. Leipzig u. a., 1896, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/herzl_judenstaat_1896/61>, abgerufen am 21.11.2024.