Heyden, Friedrich von: Der graue John. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 13. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 177–231. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016.sie beabsichtigten, seine geistreiche Unterhaltung so lange zu genießen, als möglich. So trefflich indessen der Fremde auch sprach, so schossen doch oft Aeußerungen wie Blitze aus seinem Gespräche hervor, von der auffallendsten Sonderbarkeit, bald ein sehr zerrissenes Gemüth, bald einen gewissen humoristischen Hohn gegen das, was die Welt groß und wünschenswerth nennt, verrathend, daß die jungen Leute überrascht stehen blieben. Dann aber lächelte der Fremde wieder harmlos, schlüpfte über den vulcanischen Riß, den er im Gespräche entstehen lassen, mit der leichtesten Anmuth hinweg und fesselte um so inniger durch die Bedenken, welche er erregt. -- Der seltsame liebenswürdige Mann war kaum vierzig. Eine hohe Gestalt; das Gesicht vortheilhaft und edel gebildet; Leidenschaften hatten in diesen Zügen gearbeitet. Der Schmerz hatte tiefe Spuren zurückgelassen, ohne die ursprüngliche Gutmüthigkeit in der Physiognomie, ohne einen gewissen Ausdruck harmloser Schelmerei verwischen zu können. Die Kleidung war einfach, aber kostbar durch treffliche Stoffe. Sie verrieth jene saubere, behagliche Eleganz, welche der wohlhabende Engländer bei Allem verlangt, was um und an ihm ist. Die drei Wanderer mochten ein paar Stunden in anziehenden Mittheilungen, deren Seele der Unbekannte war, fortgegangen sein, als sie beim Ausgange aus einem kleinen Buchengehölze eine ungemein freundliche, ja reizende Landschaft vor sich sahen; ein vor- sie beabsichtigten, seine geistreiche Unterhaltung so lange zu genießen, als möglich. So trefflich indessen der Fremde auch sprach, so schossen doch oft Aeußerungen wie Blitze aus seinem Gespräche hervor, von der auffallendsten Sonderbarkeit, bald ein sehr zerrissenes Gemüth, bald einen gewissen humoristischen Hohn gegen das, was die Welt groß und wünschenswerth nennt, verrathend, daß die jungen Leute überrascht stehen blieben. Dann aber lächelte der Fremde wieder harmlos, schlüpfte über den vulcanischen Riß, den er im Gespräche entstehen lassen, mit der leichtesten Anmuth hinweg und fesselte um so inniger durch die Bedenken, welche er erregt. — Der seltsame liebenswürdige Mann war kaum vierzig. Eine hohe Gestalt; das Gesicht vortheilhaft und edel gebildet; Leidenschaften hatten in diesen Zügen gearbeitet. Der Schmerz hatte tiefe Spuren zurückgelassen, ohne die ursprüngliche Gutmüthigkeit in der Physiognomie, ohne einen gewissen Ausdruck harmloser Schelmerei verwischen zu können. Die Kleidung war einfach, aber kostbar durch treffliche Stoffe. Sie verrieth jene saubere, behagliche Eleganz, welche der wohlhabende Engländer bei Allem verlangt, was um und an ihm ist. Die drei Wanderer mochten ein paar Stunden in anziehenden Mittheilungen, deren Seele der Unbekannte war, fortgegangen sein, als sie beim Ausgange aus einem kleinen Buchengehölze eine ungemein freundliche, ja reizende Landschaft vor sich sahen; ein vor- <TEI> <text> <body> <div> <p><pb facs="#f0020"/> sie beabsichtigten, seine geistreiche Unterhaltung so lange zu genießen, als möglich. So trefflich indessen der Fremde auch sprach, so schossen doch oft Aeußerungen wie Blitze aus seinem Gespräche hervor, von der auffallendsten Sonderbarkeit, bald ein sehr zerrissenes Gemüth, bald einen gewissen humoristischen Hohn gegen das, was die Welt groß und wünschenswerth nennt, verrathend, daß die jungen Leute überrascht stehen blieben. Dann aber lächelte der Fremde wieder harmlos, schlüpfte über den vulcanischen Riß, den er im Gespräche entstehen lassen, mit der leichtesten Anmuth hinweg und fesselte um so inniger durch die Bedenken, welche er erregt. — Der seltsame liebenswürdige Mann war kaum vierzig. Eine hohe Gestalt; das Gesicht vortheilhaft und edel gebildet; Leidenschaften hatten in diesen Zügen gearbeitet. Der Schmerz hatte tiefe Spuren zurückgelassen, ohne die ursprüngliche Gutmüthigkeit in der Physiognomie, ohne einen gewissen Ausdruck harmloser Schelmerei verwischen zu können. Die Kleidung war einfach, aber kostbar durch treffliche Stoffe. Sie verrieth jene saubere, behagliche Eleganz, welche der wohlhabende Engländer bei Allem verlangt, was um und an ihm ist.</p><lb/> <p>Die drei Wanderer mochten ein paar Stunden in anziehenden Mittheilungen, deren Seele der Unbekannte war, fortgegangen sein, als sie beim Ausgange aus einem kleinen Buchengehölze eine ungemein freundliche, ja reizende Landschaft vor sich sahen; ein vor-<lb/></p> </div> </body> </text> </TEI> [0020]
sie beabsichtigten, seine geistreiche Unterhaltung so lange zu genießen, als möglich. So trefflich indessen der Fremde auch sprach, so schossen doch oft Aeußerungen wie Blitze aus seinem Gespräche hervor, von der auffallendsten Sonderbarkeit, bald ein sehr zerrissenes Gemüth, bald einen gewissen humoristischen Hohn gegen das, was die Welt groß und wünschenswerth nennt, verrathend, daß die jungen Leute überrascht stehen blieben. Dann aber lächelte der Fremde wieder harmlos, schlüpfte über den vulcanischen Riß, den er im Gespräche entstehen lassen, mit der leichtesten Anmuth hinweg und fesselte um so inniger durch die Bedenken, welche er erregt. — Der seltsame liebenswürdige Mann war kaum vierzig. Eine hohe Gestalt; das Gesicht vortheilhaft und edel gebildet; Leidenschaften hatten in diesen Zügen gearbeitet. Der Schmerz hatte tiefe Spuren zurückgelassen, ohne die ursprüngliche Gutmüthigkeit in der Physiognomie, ohne einen gewissen Ausdruck harmloser Schelmerei verwischen zu können. Die Kleidung war einfach, aber kostbar durch treffliche Stoffe. Sie verrieth jene saubere, behagliche Eleganz, welche der wohlhabende Engländer bei Allem verlangt, was um und an ihm ist.
Die drei Wanderer mochten ein paar Stunden in anziehenden Mittheilungen, deren Seele der Unbekannte war, fortgegangen sein, als sie beim Ausgange aus einem kleinen Buchengehölze eine ungemein freundliche, ja reizende Landschaft vor sich sahen; ein vor-
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Zitationshilfe: | Heyden, Friedrich von: Der graue John. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 13. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 177–231. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/heyden_john_1910/20>, abgerufen am 16.07.2024. |