Heyden, Friedrich von: Der graue John. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 13. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 177–231. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016.mäler der Kunst waren höchst malerisch. Seinen Schilderungen des Orients, besonders Hindostan's, welches er mehrfach durchreiset, fehlte keine Eigenthümlichkeit localer Färbung, seinen Darstellungen der Sitten und Gewohnheiten außereuropäischer Völker kein treffender Zug. Seine Erzählung brachte die Felsentempel von Salsette zur Anschauung, und die Bajaderen der Pagode zu Dschagernath verführten in seinen Worten. Er liebte mit Leidenschaft Musik und Poesie. Sein Vortrag auf dem Pianoforte war hinreißend, und Kemble spielte den Shakespeare nicht besser, als er ihn las. Nie kam ein Wort über seine Lippen, welches wegen Rechtlichkeit seiner Grundsätze, Feinheit seiner Gefühle und wegen seiner religiösen Richtung hätte Zweifel aufkommen lassen. Auf die Welt und ihr Treiben mußte man ihn indeß nicht bringen. Dann offenbarte sich eine Bitterkeit, ein Menschenhaß, eine Menschenverachtung, in welcher er für die große und kleine, die vornehme und niedrige Welt keine andere Bezeichnung kannte, als Pöbel (mob). Oft steigerte er solche Aufwallungen bis zum Hohne gegen alle Einrichtungen des Staates und des geselligen Zustandes überhaupt, der nur mit völliger Erschöpfung und Verstimmung endete. Dann entwich er in die Einsamkeit des Gartens oder des benachbarten Waldes, kehrte erst nach ein Paar Stunden wieder, mild, weich, freundlich wie ein gutartiges Kind. Seine früheren und gegenwärtigen Lebensverhältnisse, seinen Ursprung, mäler der Kunst waren höchst malerisch. Seinen Schilderungen des Orients, besonders Hindostan's, welches er mehrfach durchreiset, fehlte keine Eigenthümlichkeit localer Färbung, seinen Darstellungen der Sitten und Gewohnheiten außereuropäischer Völker kein treffender Zug. Seine Erzählung brachte die Felsentempel von Salsette zur Anschauung, und die Bajaderen der Pagode zu Dschagernath verführten in seinen Worten. Er liebte mit Leidenschaft Musik und Poesie. Sein Vortrag auf dem Pianoforte war hinreißend, und Kemble spielte den Shakespeare nicht besser, als er ihn las. Nie kam ein Wort über seine Lippen, welches wegen Rechtlichkeit seiner Grundsätze, Feinheit seiner Gefühle und wegen seiner religiösen Richtung hätte Zweifel aufkommen lassen. Auf die Welt und ihr Treiben mußte man ihn indeß nicht bringen. Dann offenbarte sich eine Bitterkeit, ein Menschenhaß, eine Menschenverachtung, in welcher er für die große und kleine, die vornehme und niedrige Welt keine andere Bezeichnung kannte, als Pöbel (mob). Oft steigerte er solche Aufwallungen bis zum Hohne gegen alle Einrichtungen des Staates und des geselligen Zustandes überhaupt, der nur mit völliger Erschöpfung und Verstimmung endete. Dann entwich er in die Einsamkeit des Gartens oder des benachbarten Waldes, kehrte erst nach ein Paar Stunden wieder, mild, weich, freundlich wie ein gutartiges Kind. Seine früheren und gegenwärtigen Lebensverhältnisse, seinen Ursprung, <TEI> <text> <body> <div> <p><pb facs="#f0029"/> mäler der Kunst waren höchst malerisch. Seinen Schilderungen des Orients, besonders Hindostan's, welches er mehrfach durchreiset, fehlte keine Eigenthümlichkeit localer Färbung, seinen Darstellungen der Sitten und Gewohnheiten außereuropäischer Völker kein treffender Zug. Seine Erzählung brachte die Felsentempel von Salsette zur Anschauung, und die Bajaderen der Pagode zu Dschagernath verführten in seinen Worten. Er liebte mit Leidenschaft Musik und Poesie. Sein Vortrag auf dem Pianoforte war hinreißend, und Kemble spielte den Shakespeare nicht besser, als er ihn las. Nie kam ein Wort über seine Lippen, welches wegen Rechtlichkeit seiner Grundsätze, Feinheit seiner Gefühle und wegen seiner religiösen Richtung hätte Zweifel aufkommen lassen. Auf die Welt und ihr Treiben mußte man ihn indeß nicht bringen. Dann offenbarte sich eine Bitterkeit, ein Menschenhaß, eine Menschenverachtung, in welcher er für die große und kleine, die vornehme und niedrige Welt keine andere Bezeichnung kannte, als Pöbel (mob). Oft steigerte er solche Aufwallungen bis zum Hohne gegen alle Einrichtungen des Staates und des geselligen Zustandes überhaupt, der nur mit völliger Erschöpfung und Verstimmung endete. Dann entwich er in die Einsamkeit des Gartens oder des benachbarten Waldes, kehrte erst nach ein Paar Stunden wieder, mild, weich, freundlich wie ein gutartiges Kind. Seine früheren und gegenwärtigen Lebensverhältnisse, seinen Ursprung,<lb/></p> </div> </body> </text> </TEI> [0029]
mäler der Kunst waren höchst malerisch. Seinen Schilderungen des Orients, besonders Hindostan's, welches er mehrfach durchreiset, fehlte keine Eigenthümlichkeit localer Färbung, seinen Darstellungen der Sitten und Gewohnheiten außereuropäischer Völker kein treffender Zug. Seine Erzählung brachte die Felsentempel von Salsette zur Anschauung, und die Bajaderen der Pagode zu Dschagernath verführten in seinen Worten. Er liebte mit Leidenschaft Musik und Poesie. Sein Vortrag auf dem Pianoforte war hinreißend, und Kemble spielte den Shakespeare nicht besser, als er ihn las. Nie kam ein Wort über seine Lippen, welches wegen Rechtlichkeit seiner Grundsätze, Feinheit seiner Gefühle und wegen seiner religiösen Richtung hätte Zweifel aufkommen lassen. Auf die Welt und ihr Treiben mußte man ihn indeß nicht bringen. Dann offenbarte sich eine Bitterkeit, ein Menschenhaß, eine Menschenverachtung, in welcher er für die große und kleine, die vornehme und niedrige Welt keine andere Bezeichnung kannte, als Pöbel (mob). Oft steigerte er solche Aufwallungen bis zum Hohne gegen alle Einrichtungen des Staates und des geselligen Zustandes überhaupt, der nur mit völliger Erschöpfung und Verstimmung endete. Dann entwich er in die Einsamkeit des Gartens oder des benachbarten Waldes, kehrte erst nach ein Paar Stunden wieder, mild, weich, freundlich wie ein gutartiges Kind. Seine früheren und gegenwärtigen Lebensverhältnisse, seinen Ursprung,
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Zitationshilfe: | Heyden, Friedrich von: Der graue John. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 13. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 177–231. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/heyden_john_1910/29>, abgerufen am 16.07.2024. |